§ 143. Die Zuständigkeit d. Reiches u. der Einzelstaaten auf dem Gebiete d. Heerwesens. 575
8 143. Die Zuständigkeit des Reiches und der Einzelstaaten auf dem Gebiete
des Heerwesens 0. I. Nach Art. 63 R.V. bildet die gesammte Landmacht des Reiches ein
einheitliches Heer, welches im Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht. Eben-
so bestimmt Art. 53 R.V.: „Die Kriegsmarine des Reiches ist eine einheitliche unter dem
Oberbefehle des Kaisers“. Es ist nun darüber kein Zweifel, daß die Kriegsmarine nicht bloß
im militärisch-technischen Sinne — mit Rücksicht auf den Oberbefehl des Kaisers — sondern
auch im staatsrechtlichen Sinne eine einheitliche ist; die Kriegsmarine ist ausschließlich eine
Einrichtung des Reiches, es giebt keine Kriegsmarine der Einzelstaaten. In Folge dessen ist
auch die Darstellung des Rechtes der Kriegsmarine lediglich ins Reichsstaatsrecht zu verweisen.
Was dagegen das Landheer anlangt, so ist Streit darüber, ob dasselbe in demselben Sinne
als ein einheitliches aufgefaßt werden muß, wie die Marine, oder ob es nur ein aus den Kon-
tingenten der Einzelstaaten zusammengesetztes Reichsheer giebt. Gegenüber dem Wortlaute
der Bestimmungen der Reichsverfassung über das Heerwesen und im Hinblick auf die Ausleg-
ung, welche bisher dieselben in der Praxis gefunden haben, muß die zweite Ansicht für richtig
gehalten werden. Die Landmacht des Reiches ist keine Reichseinrichtung wie die Reichskriegs-
marine; sie ist nur einheitlich in gewissen Beziehungen: 1. hinsichtlich des kaiserlichen Ober-
befehles; 2. in Bezug auf die Militärgesetzgebung; 3. insoferne, als nach Art. 58 R.V. die
Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reiches von allen Bundesstaaten und
ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen sind. Im Uebrigen ist die Militärhoheit — Kon-
tingentsherrlichkeit — der Einzelstaaten grundsätzlich bestehen geblieben, wenn dieselbe auch
dadurch, daß dem Kaiser der Oberbefehl zusteht und dem Reiche nach Art. 4 Z. 14 RV.
ausschließlich die Gesetzgebung in Bezug auf das Militärwesen zusteht, sehr erheblich be-
schränkt erscheint.
Von dem den einschlägigen Bestimmungen der Reichsverfassung zu Grunde liegenden
Prinzip, daß dem Reiche die einheitliche Ordnung und Einrichtung des Heeres oder Oberbe-
fehl im Krieg und im Frieden und die Feststellung des jährlichen Rekrutenbedarfes und die
Festsetzung des Militäretates zusteht, den Einzelstaaten dagegen die Militärverwaltung und
Kontingentherrlichkeit verblieben ist, weicht der thatsächlich bestehende Zustand nach dreifacher
Richtung ab: 1. Da der König von Preußen gleichzeitig deutscher Kaiser ist, so tritt in Preußen
die Theilung der Befugnisse zwischen Landesherr (Kontingentsherr) und Kaiser (Oberfeldherr)
äußerlich nicht zu Tage. Trotzdem besteht rechtlich die Sonderung zwischen den beiden Gruppen
von Befugnissen und ist sie auch für die Entscheidung von Fragen namentlich auf dem Gebiete der
sogenannten Militärverwaltung von maßgebender Bedeutung. 2. Das gleiche Verhältniß be-
steht im Reichslande, über welches der Kaiser auf Grund des § 3 R.G. v. 9/6. 1871 die
Staatsgewalt ausübt. 3. Eine Ausnahmsstellung nimmt Bayern ein, da durch den in der
Verfassung bestätigten Versailler Vertrag v. 23/11. 1870 dem König von Bayern im Frieden
der Oberbefehl überlassen, die Fortgeltung der bayerischen Militärgesetze bis zur Aufhebung
im Wege der Reichsgesetzgebung zugestanden und die Selbstständigkeit der Armeeverwaltung,
insbesondere auch hinsichtlich der Aufstellung der Spezialetats, der Rechnungskontrolle u. s. w.
gewährleistet ist.
Dazu kommt noch weiter, daß auf dem Wege der sogenannten Militärkonventionen alle
Staaten, mit Ausnahme von Bayern, Württemberg und Sachsen, fast alle ihnen nach der
Reichsverfassung verbliebenen Militärhoheitsrechte auf den König von Preußen übertragen
haben. In Folge dessen bestehen nur vier selbstständige Militärverwaltungen: 1. Die preußische
Militärverwaltung, dieselbe umfaßt auch die elsaß-lothringischen Truppen, über welche der
1) Laband, das Staatsrecht des deutschen Reiches, 2. Aufl., II, S 497 ff. und Archiv für
öffentl. Recht, Bd. III, S. 491 ff. — Laband, deutsches Reich (2), S. 227 ff. — Bornhak, Preuß.
Staatsrecht, III, S. 29 ff. — Brockhaus, das deutsche Heer und die Kontingente der Einzelstaaten (1888).