Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

44 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. J. Kapitel. 8 16. 
Als Fälle, in denen nach Art. 56 V. U. eine Regentschaft einzutreten hat, sind aufge— 
führt a) Minderjährigkeit, b) sonstige dauernde Verhinderung des Königs, selbst zu regieren. 
Was die Minderjährigkeit anlangt, so wird nach Art. 54 V. U. der König mit der 
Vollendung des achtzehnten Lebensjahres volljährig. Sobald also die Krone an einen Thron— 
folgefähigen gelangt, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so muß die Regierung 
an seiner Stelle durch einen Regenten ausgeübt werden. 
Wann und unter welchen Voraussetzungen eine dauernde Verhinderung des voll— 
jährigen Königs selbst zu regieren anzunehmen ist, bestimmt die Verfassungsurkunde selbst nicht 
genauer, weil es sich dabei um eine im einzelnen Falle zu lösende Thatfrage handelt. Immerhin 
dürfte so viel zweifellos sein, daß nicht etwa die Hinderungsursache schon länger bestanden haben 
muß, ebenso wird verlangt, daß die Regierungsunfähigkeit voraussichtlich nicht bloß eine rasch 
vorübergehende, sondern eine längere Zeit anhaltende sein und daher eine Störung in der 
Regierung zu Folge haben wird. Es gehören hierher die Fälle der Geisteskrankheit und der 
Kriegsgefangenschaft, unter Umständen auch schwere körperliche Gebrechen und Leiden, wenn sie 
den König hindern, die zur Ausübung der Regierung erforderlichen Willensentschließungen zu 
fassen und zu äußern. Ob die Regierungsunfähigkeit schon bei Erwerb der Krone vorhanden 
ist, oder erst nachher eintritt ist gleichgültig 1. 
Eine Regentschaft muß auch bestellt werden, wenn bei Erledigung des Thrones noch die 
Geburt eines Agnaten zu erwarten ist, dem als dem nächsten Agnaten die Krone zufallen 
würde, wenn also der letzte Throninhaber oder der zum Throne berechtigt gewesene, aber ver- 
storbene Agnat eine schwangere Wittwe hinterläßt. Die Verfassungsurkunde sieht zwar diesen 
Fall nicht ausdrücklich vor; es wird aber allgemein als zulässig erachtet, den noch zu erwar- 
tenden Thronfolger dem minderjährigen Könige gleichzustellen, da außerdem eine bedenkliche 
Unsicherheit in der Thronfolge eintreten würde. 
Die Regentschaft ist Ausübung der Staatsgewalt für den verhinderten 
König und zwar — im Gegensatz zur Stellvertretung — auf Grund der Berufung durch Ge- 
setz, also zu eigenem Rechte. Inhaber der Staatsgewalt bleibt der König, der Regent übt 
aber an seiner Stelle die Staatsgewalt, d. h. sämmtliche im Begriffe der Staatsgewalt 
liegende Hoheitsrechte, nicht bloß einzelne derselben aus. Der König kann sich nicht etwa 
einzelne vorbehalten, weil der Regent nicht auf Grund eines Auftrags oder einer Vollmacht, 
sondern in Folge Berufung durch Gesetz handelt. 
Was den Umfang der Befugnisse des Regenten anlangt und seine persönliche 
Stellung, so ist zu unterscheiden: 
1. Die Regierungsrechte des Königs übt der Regent in ihrem vollen Umfange aus. 
Beschränkungen des Regenten, wie sie sich z. B. in der Bayer. V. U. Tit. II § 18 finden, ent- 
hält Art. 58 der. preuß. V.U. nicht. Da der Regent aber nur im Namen des Königs handelt, 
muß dieses Sachverhältniß auch bei den Regierungsakten des Regenten zu Tage treten 1. 
2. Die Ehrenrechte verbleiben dem regierungsunfähigen König; der Regent hat weder 
Anspruch auf Titel und Ehrenvorzüge des Königs noch auf den erhöhten strafrechtlichen Schutz 
gegen Ehrverletzungen. R. Str.G.B. I§, 96, 97, 100, 101. Er hat nur den Schutz, den die 
Mitglieder des landesherrlichen Hauses genießen. 
3. Was die Unverletzlichkeit und Unverantwortlichkeit des Regenten anlangt, 
so enthält in dieser Beziehung die V. U. keinerlei Bestimmungen, aus dem R. Str. G. B. 88 80 
und 81 ergiebt sich jedoch, daß der Regent nicht den gleichen erhöhten Schutz gegen Angriffe 
  
1) Regierungsunfähigkeit und privatrechtliche Handlungsunfähigkeit sind nicht gleichbedeutend 
wenn sie auch in der Regel zusammenfallen werden. Vgl. Seydel, Bayer. Staatsrecht, I, 457. 
2) Während der Regentschaft des Prinzen Wilhelm für Friedrich Wilhelm IV. hatten daher alle 
Gesetze, Verordnungen und Ausfertigungen folgenden Eingang: „Im Namen Sr. Mazestät des Königs 
Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, Prinz von Preußen, Regent u. s. w.“
	        
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