60 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. II. Kapitel. 8 21.
persönlichen Freiheit u. s. w., sie enthalten aber auch einzelne subjektive öffentliche Rechte,
wie z. B. Preßfreiheit, Auswanderungsfreiheit „Versammlungs= und Vereinsrecht, deren Um-
fang und Inhalt jedoch lediglich aus den betreff. Spezialgesetzen ersehen werden kann. Mit
Rücksicht auf diese Umstände, ferner auch darauf, daß die meisten dieser Grundrechte auch den
Fremden, wenn auch nur in widerruflicher Weise zustehen und endlich aus dem Grunde, weil
verschiedene der in den Art. 3—42 behandelten Gegenstände jetzt reichsgesetzlich geregelt sind,
wie die Frage des Gerichtsstandes, die Preßfreiheit u. s. w., muß hier von einer Darstellung
der „Rechte der Preußen“ als Inhalt der Staatsangehörigkeit abgesehen werden. Der Inhalt
und Umfang aller dieser Rechte wird vielmehr im Verwaltungsrechte bei Erörterung der betr.
Spezialgesetze zur Darstellung kommen #.
§ 21. Die Rechtsunterschiede unter den Staatsangehörigen. A. Die Standes-
herren!). I. Das Allg. Landrecht hatte die ständische Gliederung des Mittelalters aufrecht er-
halten. Jeder der drei Geburtsstände, Adel, Bürgerstand und Bauernstand, hatte sein eigenes
Recht und war auf die von seinen Vorfahren überkommene Besitz= und Beschäftigungsart be-
schränkt, von jedem anderen Stande aber ausgeschlossen. An die Stelle des geistlichen Standes
war der neue Berufsstand der Staatsdiener getreten, der ebenfalls sein Sonderrecht besaß. Die
im Allg. Landrecht nochmals genau gesetzlich geregelte Rechtsordnung ist in ihrer Grundlage
durch die Bestimmungen des Edikts v. 9/10. 1807 den erleichterten Besitz und den freien Ge-
brauch des Grundeigenthums u. s. w. betr. beseitigt worden, indem darnach jeder Unterthan ohne
Rücksicht auf seinen Stand, Grundstücke jeder Art, bäuerliche, bürgerliche oder adelige, erwerben,
jeder Edelmann ohne Nachtheil für seinen Stand bürgerliche Gewerbe treiben, der Bürger Bauer
und umgekehrt werden konnte. Damit waren die Schranken, welche die mittelalterliche Rechts-
ordnung zwischen den einzelnen Berufsstände aufgerichtet hatte, gefallen, und der Grundsatz
eines sog. allgemeinen Satatsbürgerthums anerkannt.
Art. 4 V. U. hat nur die Folgerung aus dem in dem Ed. v. 1807 enthaltenen Grund-
satze gezogen, indem er bestimmte: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvor-
rechte finden nicht statt.“ Die Bedeutung des Art. 4 V. U. ist aber lediglich die, daß derselbe
die alte ständische Gliederung und die mit gewissen Ständen verbundenen Vorrechte beseitigte.
Dagegen steht derselbe nicht im Widerspruche mit sonderrechtlichen Vorschriften für gewisse
Berufsstände und Bevölkerungsklassen, wie Militärpersonen, Beamte, Gewerbetreibende u. s. w.
Ebensowenig steht er im Widerspruch mit dem Bestand des niederen Adels, da dieser lediglich
die Bedeutung einer Ehrenauszeichnung hat, aber keine Vorrechte mit sich bringt. Endlich war
mit dem Art. 4 V. U. vereinbar die besondere Stellung der Mitglieder des königlichen Hauses,
da diese Stellung gegenwärtig nicht auf der Zugehörigkeit zu einem besonderen Stande, sondern
auf den Beziehungen zum Staatsoberhaupte beruht, weshalb auch in Art. 53 durch Aufrecht-
haltung der hohenzollern'schen Hausgesetze die Sonderstellung der Mitglieder des königlichen
Hauses mittelbar anerkannt worden ist. Dagegen konnte allerdings angenommen werden, daß
durch den in Art. 4 V. U. aufgestellten Grundsatz der Gleichheit der Unterthanen vor dem Ge-
setze, die durch die preußische Gesetzgebung den Mediatisirten eingeräumten Vorrechte erloschen
seien. Da aber die Aufhebung dieser Vorrechte im Widerspruch stand mit der Bundesakte v.
8/6. 1815, so erging das G. v. 10/6. 1854 betr. die Deklaration der V. U. v. 31/1. 1850
in Bezug auf die Rechte der mittelbar gewordenen deutschen Reichsfürsten und Grafen (G. S.
S. 363), welche aussprach, daß die Bestimmungen der V. U. einer Wiederherstellung derjenigen
1) Ueber die Frage, ob es sich wirklich um subjektive Rechte oder bloß um Vorschriften des ob-
jektiven Rechts handelt, vgl. den Artikel „Oeffentliche Rechte und Pflichten“ in Stengels
Wörterbuch des Verw.-Rechts, II, S. 177 ff.
1) Hamann, O., die deutschen Standesherren und ihre Sonderrechte, 1888. — Schulze,
das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I. Bd., S. 406—412, 420 ff. — Rönne, das Staatsrecht der
preuß. Monarchie, 4. Aufl., S. 260 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, I. Bd., S. 280 ff.