70 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. II. Kapitel. 8 22.
sichtlich des Beginnes der Großjährigkeit nur für die Landesherren, die Mitglieder der landes-
herrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern die hausgesetzlichen Vorschriften
vorbehalten haben. Zu den landesherrlichen deutschen Familien gehört aber nur die hessische,
sonach ist bloß für diese die erwähnte Autonomie erhalten geblieben.
Dasselbe gilt von den Vorschriften der §§ 5 u. 7 E.G. z. G.V.G.
Sonstige Sonderrechte sind: 1. Befreiung von der Wehrpflicht nach Maßgabe des R.G.
v. 911.1867, welches die Befreiung den Mitgliedern regierender Häuser, nicht bloß deutscher
landesherrlicher Familien zusichert. (Vgl. auch Vertrag v. 26/3.1873 mit der kurfürstl. hessischen
Familie.) 2. Recht der Betheiligung an den Kreistagswahlen durch Stellvertreter; hess.-nass.
Kr.O. § 54 für die Mitglieder des hessischen und nassauischen Fürstenhauses. 3. Auf Grund der
in den Verträgen mit den einzelnen Häusern enthaltenen Zusicherungen ist den Mitgliedern der
bisherigen Herrscherhäuser von Hannover, Kurhessen und Nassau die Befreiung von der Klassen-
und klassifizirten Einkommensteuer, sowie von der Gebäudesteuer für die in ihrem Besitze be-
findlichen Gebäude, soweit sie bisher von der Häuser= und Grundsteuer befreit waren, zuge-
standen worden (VV. v. 28/4. u. 11/5. 1867 G.S. S. 536, 531,597).
Das Einkommensteuergesetz v. 24/6. 1891 hat die Befreiung von der Einkommensteuer
in § 3 ausdrücklich aufrecht erhalten. (Vgl. auch § 3 des Ergänzungssteuer-Ges. v. 14/7.1893.)
§ 22. Die Rechtsunterschiede unter den Staatsangehörigen. C. Der niedere
Adel. D. Auszeichnungen. E. Rechtlich benachtheiligte Personen.
C. Der niedere Adel!). I. Die Quelle für das Recht des niederen Adels bildet auch
jetzt noch Tit. 9 Th. II A.L. R., dessen Bestimmungen jedoch als aufgehoben zu betrachten
sind, insoweit sie dem Adel als solchen gewisse besondere Rechte und Pflichten im Staate bei-
legten.
Auf dem linken Rheinufer hatte die fremdherrliche Gesetzgebung den Erbadel abgeschafft
und die Führung adeliger Beinamen und Prädikate neben dem Familiennamen verboten. Diese
Gesetze sind durch die Kab. O. v. 13/1. 1826 (G. S. S. 17). außer Kraft gesetzt worden, in-
dem gleichzeitig die vor Abschaffung des Adels dazu berechtigten Personen wieder zur Führung
adeliger Prädikate ermächtigt wurden. Weitere Bestimmungen sind jedoch hinsichtlich des
Adels nicht aufgestellt worden; ebensowenig bestehen gesetzliche Vorschriften im Gebiete des ge-
meinen Rechts. Es ist jedoch anzunehmen, daß die desfallsigen Vorschriften des Allgem. Land-
rechts auch in denjenigen Gebietstheilen in denen es keine Gesetzeskraft hat, auf Grund des
Gewohnheitsrechts Anwendung zu finden haben, zumal das Allgem. Landrecht in der Haupt-
sache lediglich das damals geltende gemeine Recht kodifizirt hat.
II. Zum niederen Adel gehört a) der sogen. landsässige Adel, b) die ehemalige Reichs-
ritterschaft. Allerdings hatte Art. 14 B.A. dem ehemaligen Reichsadel, soweit er nicht zu
den Mediatisirten gehörte, gewisse Rechte, Familienautonomie, privilegirten Gerichtsstand,
Ortspolizei u. s. w. verliehen, jedoch mit dem Beifügen, daß diese Rechte nur nach Maßgabe
der Landesgesetze ausgeübt werden sollen. Nachdem die Landesgesetzgebung, bezw. Reichsge-
setzgebung diese Vorrechte beseitigt hat, nimmt die Reichsritterschaft keine Sonderstellung mehr
ein, sondern steht dem niederen schon vor 1806 landsässigen Adel völlig gleich.
III. Der Erwerb der Adels erfolgt a) durch familienrechtliche Akte — Geburt und
Heirath —, b) durch landesherrliche Verleihung.
Durch Geburt erwirbt den Adel, wer von einem adeligen Vater in der Ehe gezeugt und
1) Bornhak, Preuß. Staatsrecht, I, S. 289 ff. — Rönne, das Staatsrecht der preuß.
Monarchie, 4. Aufl., II, S. 322. — Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I, S. 409 ff. —
Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., J, S. 326 ff.