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Eine zeitweise Untersagung der Ausübung des Rechts auf Sitz und Stimme kann
das Herrenhaus nach § 10 d. V. von der Kammer mit Rücksicht auf eine gegen ein Mitglied
eingeleitete Untersuchung oder aus sonstigen wichtigen Gründen mit königlicher Genehmigung
verfügen.
§ 26. Das Haus der Abgeordneten t). I. Das Abgeordnetenhaus ist eine reine
Wahlkammer (Art. 69 ff. V.U.). Die Zahl der Mitglieder war in Art. 69 V. U. auf 350
festgesetzt. Nach Einverleibung der hohenzollern'’schen Lande wurde durch G. v. 30/4. 1851
(G. S. S. 213) die Zahl auf 352 erhöht. Das G. v. 17/5.1867 (G. S. S. 1481) fügte für
die i. J. 1866 mit der preußischen Monarchie vereinigten Gebietstheile 80 Abgcordnete hinzu;
endlich gewährte das G. v. 23/6. 1876 (G.S. S. 176) dem Kreise Herzogthum Lauenburg
einen Abgeordneten, so daß die Gesammtzahl gegenwärtig 433 beträgt.
Die Wahlbezirke sind nach Art. 69 V. U. durch Gesetz festzustellen. Dieses Gesetz
erging für den damaligen Umfang der Monarchie am 27/6. 1860 (G.S. S. 357). In den
neuen Provinzen hatte nach dem G. v. 17/5. 1867 die Feststellung der Wahlbezirke vorbe-
haltlich späterer gesetzlicher Regelung durch königl. Anordnung unter möglichster Berück-
sichtigung der Volkszahl zu erfolgen. Dies geschah durch die V. v. 14/9. 1867 (G. S.
S. 1487 ff.). Das G. v. 11/3. 1869 (G.S. S. 481) hat dann die bisherigen Bestimmungen
bis zum Erlasse des in Art. 723 V. U. vorgesehenen Wahlgesetzes aufrecht erhalten. Einige
unbedeutende Aenderungen enthalten das G. v. 15/2. 1872 (G. S. S. 158) und das G. v.
24/3. 1873, betr. den Rechtszustand des Jadegebietes (G. S. S. 119), ferner das G. v.
18/2. 1891, betr. die Vereinigung der Insel Helgoland mit der preußischen Monarchie (G. S.
S. 11) §5 32). Da Art. 69 Abs. 2 vorschreibt, daß die Wahlbezirke aus einem oder mehreren
Kreisen oder aus einer oder mehreren der größeren Städte bestehen können, ist in § 1 der
hannöv. Kr. O. und § 1 der hess.-nass. Kr.O., welche eine neue Kreiseintheilung dieser Pro-
vinzen anordneten, unter Zugrundelegung dieser Kreiseintheilung eine neue Wahlbezirksein-
theilung erfolgt.
Bezüglich der Bildung der zweiten Kammer war s. Z. die V. v. 30/5. 1849 (G.S.
S. 205) ergangen. Nach Art. 72 Abs. 2 V. U. soll das Nähere über die Ausführung der
Wahlen durch ein besonderes Wahlgesetz bestimmt werden. Bis zum Erlasse dieses bisher
noch nicht ergangenen Wahlgesetzes ist gemäß § 115 V. U. die V. v. 30/5. 1849 in Kraft ge-
blieben. Die V. v. 30/5. 1849 ist durch das interimistische Wahlgesetz v. 30/4. 1851 (G.S.
S. 216) auch in den hohenzollern'schen Fürstenthümern mit geringen Abänderungen in Kraft
getreten. Für die i. J. 1866 erworbenen Gebiete bestimmte das G. v. 17/5. 1867, daß die
ersten Wahlen nach der V. v. 30/5. 1849 mit einigen Abänderungen erfolgen sollen und dem
nach dem 1. Okt. 1867 zunächst einzuberufenden Landtage ein Gesetzentwurf über die Bildung
der Wahlbezirke und über die definitive Einführung der V. v. 30/5. 1849 vorgelegt werden
soll. Nachdem sodann die V. v. 14/9. 1867 die für die Eintheilung der Urwähler in drei
Abtheilungen maßgebenden Steuern bezeichnet hatte, bestimmte das G. v. 11/3. 1869 (G.SS.
S. 481), daß bis zum Erlasse des in Art. 72 V. U. vorgesehenen Wahlgesetzes die Abgeord-
netenwahlen in den neuen Provinzen auf Grund der V. v. 30/5. 1849, des Art. 2 der V. v.
14/9. 1867 und des § 2 d. G. v. 11/3. 1869 erfolgen sollen.
Die hiernach für die gesammte Monarchie in der Hauptsache in Kraft gebliebene V. v.
30/5. 1849 steht mit manchen Bestimmungen der Art. 70—72 V. U. in Widerspruch (z. B.
bezüglich des Alters der Urwähler), geht aber selbstverständlich den Vorschriften der Ver-
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I, S. 218 ff. — Schulze, das
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., 1. S. 586 ff. — Bornhak, preuß. Staatsrecht, I, 379 ff.
2) Nach § 3 d. G. v. 18/2. 1891 ist Helgoland für die Wahlen zum Hause der Abgeord-
neten dem den Kreis Süder-Dithmarschen umfassenden Wahlkreise zugetheilt.