§ 27. Zuständigkeit und Rechte des Landtags. 83
die Staatsgewalt unbeschränkt auszuüben hat. Namentlich gilt dies von der sog. vollziehenden
Gewalt, die allein dem Könige zusteht (Art. 45 V. U.).
Im Einzelnen äußert sich das Recht der Mitwirkung der Volksvertretung 1. auf dem
Gebiete der Gesetzgebungj alle Gesetze einschließlich derjenigen, die eine authentische Aus-
legung von Gesetzen bezwecken, bedürfen der Zustimmung, bezw. Genehmigung des Landtags
(Art. 63 V. U.); ebenso haben die Kammern unbeschränkt das Recht der Gesetzes-Initiative.
2. Auf dem Gebiete der Finan zverwaltung steht den Kammern das Recht zu, bei der
Feststellung des Budgets in der Form des Gesetzes mitzuwirken, die finanzielle Verwaltung
zu kontrolliren, und dem entsprechend der Staatsregierung bezüglich der von ihr zu stellenden
Staatsrechnung Entlastung zu ertheilen, ferner haben die Kammern das Recht, bei der Auf-
nahme von Staatsanleihen und der Uebernahme von Garantien zu Lasten des Staats in der
Form des Gesetzes mitzuwirken und das Staatsschuldenwesen zu kontrolliren (Art. 99 ff. V. U.).
3. Gebietsveränderungen bedürfen der Zustimmung der Volksvertretung (Art. 2 V. U.).
4. Staatsverträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern, sofern es
Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern
Verpflichtungen auferlegt werden (Art. 48 V. U.) #.
Als außerordentliche Rechte der Volksvertretung können aufgeführt werden a) das
Recht der Mitwirkung bei dem Eintritt der Nothwendigkeit einer Regentschaft (Art. 56, 57
V. U.); b) das Recht zur Uebernahme der Herrschaft fremder Reiche durch den König die Ein-
willigung zu geben (Art. 55 V. U.).
III. Die Form, in welcher die politischen Rechte der Volksvertretung ausgeübt worden
sind: 1. Vorherige Zustimmung oder Einwilligung zu dem betreffenden Regierungs-
akte, bezw. nachträgliche Genehmiguug desselben. 2. Erlaß einer Adresse an die Krone,
die nach Inhalt und Form auch die Bedeutung einer Petition, Beschwerde oder Vorstellung
haben kann. Nach § 81 Abs. 1 V. U. hat jede Kammer für sich das Recht2), an den König
Adressen zu richten. Die Geschäftsbehandlung der Adressen ist in den beiden Kammern ver-
schieden 3). 3. Jede Kammer hat nach Art. 82 Abs. 3 V. U. das Recht, die an dasselbe ge-
richteten Schreiben (vgl. Art. 82 Abs. 2) an die Minister zu überweisen und von denselben
Auskunft über eingehende Beschwerden zu verlangen. Diesem Rechte entspricht die Pflicht der
Minister, die Schriften entgegenzunehmen und Auskunft zu ertheilen. Es geschieht dies in
der Weise, daß die Regierung in jeder Session jedem der beiden Häuser des Landtags eine
Uebersicht der von ihr über die Anträge und Resolutionen des Hauses gefaßten Entschließungen
mittheilt"). 4. Jede Kammer hat das Recht der Ministeranklage (Art. 61). 5. Nach Art. 82
V. U. hat jedes Haus die Befugniß, behufs seiner Information Kommissionen zur Untersuchung
von Thatsachen zu ernennen. Welche Tragweite diese Bestimmung der Verfassungsurkunde
hat, ist bestritten. Zweifellos dürfte jedoch sein, daß die betreffenden Kommissionen behufs
Einziehung der erforderlichen Information sich der Vermittelung des Ministeriums bedienen
müssen, da die Kammern sich nicht direkt an öffentliche Behörden wenden können und ihnen
auch jede obrigkeitliche Gewalt gegenüber den Unterthanen fehlt. Unbestreitbar ist ferner, daß
sich die Thätigkeit der fraglichen Kommissionen nur auf Gegenstände beziehen kann, die über-
haupt in die Zuständigkeit der Volksvertretung fallen. Endlich ist nach dem Wortlaute, wie
nach der Entstehungsgeschichte des Art. 82 anzunehmen, daß sich das durch diesen Artikel den
1) Handelsverträge gehören jetzt zur ausschließlichen Zuständigkeit des Reichs. (R.V. Art. 33—35).
2) Dieses Recht steht nicht, wie Bornhak meint, dem Rechte, Briefe zu schreiben, gleich, sondern
ihm entspricht die Pflicht der Krone, die Adresse entgegenzunehmen.
3) Vgl. darüber Rönne a. a. O. S. 288 ff.
4) Ueber die geschäftliche Behandlung dieser Uebersichten vgl. Rönne a. a. O. S. 297.
6“