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tretenen Auslegung zu dem Ergebnis, daß ein
Irrtum über Inhalt oder Tragweite oder Grenzen des
militärischen Verbots als error iuris criminalis straf-
bar ist1) (so bereits BayObL G. vom 28. Januar 1915,
Beibl. BayIMBl. 1915 S. 27, im Ergebnis überein-
stimmend Bovensiepen, L3B. 1915 S. 815). Wohl
aus Billigkeitserwägungen, vielleicht auch, um den schroffen
Gegensatz zu dem Reichsgericht bei der Anwendung eines
und desselben Gesetzes zu mildern, hat das BayObL G.
bereits in einem Urteile vom 29. April 1915 (Beibl.
JIMBl. S. 135 ff., besonders S. 140) ausgesprochen, daß
die unverschuldete Unkenntnis einer Vorschrift einen
Schuldausschließungsgrund bilden könne. Noch schärfer
hat es in dem gleichen unter a 2 zum Teil abgedruckten
Urteil, in dem es dem Reichsgericht entgegentritt, die Auf-
fassung vertreten, daß die Frage überhaupt nur nach dem
besonderen Inhalt des Kriegszustandsgesetzes= beantwortet
werden könne. Dementsprechend hat es, mit Rücksicht
darauf, daß die Vorschriften des obersten Militärbefehls-
fabers außerordentliche Maßnahmen sind, die häufig ein
onst erlaubtes Tun ausnahmsweise verbieten, ohne daß
die Umstände und besonderen Verhältnisse, die zu der Aus-
nahmebestimmung führten, dem einzelnen selbst bei An-
wendung aller gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit
erkennbar wären, die ausnahmslose Anwendbar-
keit des Grundsatzes, daß ein Irrtum über das Straf-
gesetz unbeachtlich sei, verneint. Das gleiche hat nun zu
gelten, wenn ein Irrtum über den Inhalt und die Trag-
weite einer Vorschrift in Frage kommt. „Selbstverständ-
ich kann demgemäß auch hier nur ein völlig unver-
schuldeter Irrtum, der nach den besonderen Verhältnissen
Lchmietse JIW. 1915 S. 1226 Anm. 4, Frank,
W. 1916 S. 440. Z
1) Es ist aber vielleicht von Interesse, was bisher noch
nirgends beachtet wurde, daß der Regierungsvertreter
Geh. Rat Scherer in der Sitzung der II. Kammer
vom 1. April 1851 (aaO. Sten Ber. S. 791) erklärt
hat . .. „ein Verbot ... welches übertreten, und zwar
mit Bewußisein übertreten werden muß, weil überhaupt
das Bewußtsein zur Strafbarkeit gehört".