Object: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. I. Band, 2. Abteilung. Von der Landesteilung von 1382 bis zum Übergange der Kurwürde an die Albertiner (1547). (2)

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gerade so weit reiche, wie die kaiserliche Gewalt, und daß vor ihr 
Forum alles gehöre, was gegen die zehn Gebote verstieße, begreif- 
licherweise eine sehr weite und dehnbare Begriffsbestimmung. Im 
allgemeinen galt auch für die Vemegerichte der altdeutsche Rechts- 
satz: „Wo kein Kläger, da ist auch kein Richter.“ Der Kläger hatte 
sich an dem infolge seiner Klage ihm anberaumten Gerichtstage an 
der ihm bestimmten Gerichtsstätte einzufinden und seine Sache dem 
„Vorsprecher“ mitzuteilen; dieser, nicht der Kläger selbst, trug den 
Thatbestand vor, während der Kläger, der, an jeder Hand von einem 
der Freischöppen gehalten, hereingeführt worden war, mit diesen nieder- 
kniete. Dann wurde erst darüber befunden, ob die Sache „veme- 
wrogig" sei und dann legte der Kläger, unterstützt von zwei Eides- 
belfern, den Schwur über die Wahrheit seiner Anschuldigung ab. Ge- 
wöhnlich richtete nun der Freigraf eine schriftliche Aufforderung an 
den Beklagten, sich binnen einer bestimmten Frist mit dem Gegner zu 
vergleichen oder ihm Genugthuung zu leisten. Erfolgte darauf nichts, 
so wurde eine schriftliche Borladung abgesandt, die außer der Adresse 
noch die Warnung trug: „Diesen Brief soll niemand lesen, er sei 
denn ein Freischöffe."“ Mit der einen Vorladung, die, wenn auch bei 
weitem nicht immer, neben Tag und Stunde des Gerichts auch den 
Grund angab, begnügte man sich Uneingeweihten gegenüber; war der 
Beklagte jedoch selbst Freischöffe, so mußte er dreimal geheischet wer- 
den. Die Zustellung der Ladung sollte, wenn möglich, persönlich oder 
wenigstens an die Hausgenossen des Beklagten erfolgen; da dies aber 
nicht immer thunlich und namentlich oft mit Gefahr verknüpft war, so 
wählte man andere Wege, die übrigens auch von den regelmäßigen 
Gerichten aus gleichem Grunde benutzt wurden. Zur Nachtzeit steckte 
man die Vorladung in den Schließbalken des Thores der Burg oder 
der Stadt, in der der Beklagte wohnte, hieb einen Spahn daraus als 
Beweiszeichen, daß man dagewesen sei, und rief den Wärtel an, vom 
Geschehenen ihm Mitteilung machend. Auch steckte man wohl die 
Vorladung in das Sakramentshäuschen in der Kirche oder hesftete 
sie in der Nähe der Stadt dem Wanderer sichtbar am Kreuzwege an 
einen Baum. 
Nichtwissende stellten sich selten dem Gerichte, da sie so gut wie 
verloren waren, wenn ein Wissender gegen sie klagte. Der Veme-
	        
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