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unsere Verhältnisse übertrafen, die Kindersterblichkeit also, wie auch
sonst erwiesen und von vornherein wahrscheinlich, recht bedeutend war.
Immerhin werden wir uns namentlich im 14. Jahrhundert, also im Zeit-
alter der ausblühenden Städte, deren Bevölkerungszunahme so lange
als bedeutend, und zwar bedeutender als heute, vorzustellen haben,
so lange keine äußeren Ursachen, wie Feuersbrünste, Kriege und nament-
lich ansteckende Seuchen, den Bevölkerungszustand auf Jahre hinaus
zurückbrachten. Es ist gelegentlich vor einer überschätzung der mittel-
alterlichen Einwohnerzahlen gewarnt worden; es mag ergänzend hinzu-
gefügt werden, daß im Zeitalter der Kreuzzüge und Romfahrten und
der Kolonisation des Ostens während des 12. und 13. Jahrhunderts
immer ein ausreichender Abfluß der Bevölkerung stattfand, daß sich
aber schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und in der
ersten des 14. alle möglichen Elemente vom platten Lande und sonst
woher in den Städten einen Zufluchtsort suchten und dort jenes in Erb-
untersuchungen wohl kaum mitzuzählende Proletariat bildeten, das einer
wenn auch sicher übertreibenden zeitgenössischen Geschichtschreibung jene
bedeutenden Zahlen über die großen Sterben an die Hand gegeben hat.
Zu dieser Übervölkerung, die natürlich nur bezüglich eines be-
schränkten Wohnraumes des einzelnen und der Gesamtheit als eine
solche verstanden werden darf, nicht unbedingt numerisch, kam jener
unglückselige asketische und fatalistische Geist des Mittelalters, von dem
schon vorhin die Rede war als von einem allen vernünstigen hygie-
nischen Maßregeln gottergeben widersprechenden. War nicht die heil.
Agnes, die Verkörperung der heil. Unschuld, darum heilig gesprochen
worden, weil sie sich aus Frömmigkeit jedes Bad versagt hatte# Und
wenn Geißelbruderschaften, Wallfahrten, der ungeheure Menschenandrang
nach Rom wegen des Jubeljahres im Jahre 1350 nach modernen
Erfahrungen gerade das Gegenteil von Hilfe zu bringen geeignet
waren, so halfen sie doch wenigstens der vorerwähnten nüchternen
Anschauung des erfurter Chronisten zur Bewahrheitung. Dazu kam der
mannigfaltige Mißbrauch in der Handhabung des Leichenwesens. Es
war allerdings gerade Erfurt, das um die Pestzeit die Bestattung der
Kadaver innerhalb der Stadtmauern verbot, welchem Beispiel Magde-
burg folgte. Aber wie viele sind in vielen anderen Städten an alter
Stätte, namentlich in den Kirchen, bestattet worden und sind da-