Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. I. Band, 2. Abteilung. Von der Landesteilung von 1382 bis zum Übergange der Kurwürde an die Albertiner (1547). (2)

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niederen Kreise mehr als die höheren; die an sich höhere Zahl der 
Proletarierbevölkerung, ihre schlechteren Ernährungs= und Wohnverhält- 
nisse müssen zweifellos der Seuche eine breitere Angriffslinie gegeben 
haben. Die wirtschaftliche Folge war, daß der Preis der Arbeitskräfte 
dadurch stieg, sowohl der ländlichen als der städtischen, daß damit die 
Produktion, sowohl landwirtschaftliche als gewerbthätige, ebenfalls im 
Preise in die Höhe ging; mit der verbesserten wirtschaftlichen Lage 
wuchs aber nicht nur die Kinderzahl der niederen Stände, sondern vor 
allem auch ihr politischer Sinn und ihre Unabhängigkeits= und Herr- 
schaftsgelüste. Die Pest staute zwar durch den Schrecken ihres 
Auftretens eine kurze Zeit lang die soziale Bewegung, die die erste 
Hälfste des 14. Jahrhunderts, zum Teil auch schon das 13. Jahr- 
hundert, erfüllt hatte, leistete ihr aber dann direkten Vorschub, teils 
weil sie überhaupt die Bande der Ordnung löste, teils aus den oben 
genannten Gründen volkswirtschaftlicher Natur, zu denen dann als 
neuer hinzutritt, daß in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die 
Zeit liegt, in der der deutsche Handel, begründet auf einer erblühenden 
Industrie, den Weltmarkt zu erobern beginnt. Mit dem gesteigerten 
Handel und Verkehr mehrten sich die größeren Vermögen und mit 
ihnen Luxus, Verschwendung, lppigkeit. Diese letzteren könnten gar 
nicht als Zeichen der sittlichen Verschlechterung so allgemein und so 
auffällig hervorgetreten sein, wenn nicht ein bedeutender Wohlstand 
als Vorbedingung vorhanden gewesen wäre. Unter solchen Voraus- 
setzungen wachsen aber auch die sozialen Gegensätze, wächst Klassen= 
und Parteihaß, mehrt sich die demokratische Auflehnung gegen das 
patrizische Element, mehrt sich die Wut der Enterbten gegen die mit 
vollen Zügen Genießenden. Hieraus erklärt sich die Judenverfolgung 
zu allernächst; gewiß spielte auch Glaubensfanatismus eine Rolle, vor- 
nehmlich aber war es die Auflehnung gegen die kapitalistische Aus- 
beutung durch die Juden, und unter diesem Zeichen geht dann auch 
eine tiefe Bewegung gegen andere reiche Leute, vor allem aber auch 
gegen die Kirche, die mit einem ganz einzigen Reichtum ausgesiattet 
dastand und nichts weniger als eine moralisch bessernde Anstalt 
mehr war und die Gelübde der Armut und Keuschheit nur noch auf 
den Lippen trug, unbeschadet der glücklicherweise noch immer vorhandenen 
wirklich frommen und ernstdenkenden Angehörigen des geistlichen Standes.
	        
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