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wenn sie sich ihnen auch unter dem Einflusse der Kirche in unholde
Dämonen verwandelt hatten, nach wie vor übten in Meißen im Nieder-
lande die alten slavischen Götter ihren Einfluß aus, und im Erzgebirge
wimmelte es von Grubensagen. Noch heute gehen in Thüringen die
Erzählungen im Schwange von Frau Holle und Frau Perchta und vom
wilden Jäger und seiner Schar, in dem sich die Erinnerung an Wotan
gehalten hat; in den Hörselberg versetzt die mittelalterliche Sage Frau
Venus mit ihrem Hofe und den Tannhäuser; in Erfurt ward gerade am
Ausgange des Mittelalters die Sage vom Dr. Faustus lokalisiert; nach
der im 16. Jahrhundert allgemein verbreiteten Überlieferung stammte
er aus dem Dorfe Roda bei Weimar (heute Rödigen) und las an der
Universität Erfurt über Homer, stand also im humanistischen Lager, und
bewies überdies und vor allem als Zauberer infolge seines Paktes
mit dem Teufel große Geschicklichkeit. Da der Bekehrungsversuch bes
Dr. Klinge, eines frommen Barfüßermönches, mißlang, so wurde Faust
auf dessen Veranlassung hin vom Rektor und Rat von der Universität
und der Stadt verwiesen. Von seinem Höllenzwange und sonstigen
Bethätigungen seines Bündnisses mit dem Teufel wußte man auch im
Meißnischen furchtbare Dinge zu berichten, namentlich in Leipzig,
wo sich bekanntlich die Faustsage in Auerbachs Keller lokalisiert hat.
Es bedarf keiner besonderen Versicherung, daß in Thüringen wie in
Meißen der Glaube an Zauberer und an Hexen durchaus lebendig war
und zu Zeiten seine Opfer forderte. Es würde zu weit führen, wenn
man aus dem reichen Quell thüringischer und sächsischer Sagen auch
nur die herausnehmen und mitteilen wollte, die auf den derzeitigen
Stand der Bildung des Volkes ein besonderes Licht werfen. Erwähnt
seien nur ein paar Sagen historischen Charakters; vor allem gehört
hierher die Kaisersage, die gerade am Ende des Mittelalters mit
besonderer Stärke auflebte und die Wiederkunft Kaiser Friedrichs II.,
der im Kyffhäuserberge verborgen sei, in Aussicht stellte. Schon
Joh. Rothe erwähnt des Kyffhäusers in diesem Zusammenhange und
hundert Jahre vor ihm der um 1341 gestorbene hessische Chronist
Joh. Rytessel. Um wichtige Zeitereignisse spann sich auch bald die
Sage, wie um die Schlacht von Lucka oder den Prinzenraub u. a.,
ebenso um hervorragende Persönlichkeiten. So erklärte man sich die
Einäugigkeit des Markgrafen Wilhelm, der 1407 zu Grimma verstarb,