— 1133 —
Luthern hinderte in dem Aufbau der neuen Kirche derselbe ideale
Zug, der ihm das politische Verständnis raubte. Er war wohl, wie
ein Gelehrter unserer Tage geurteilt hat, fähig, eine Religion, aber
keine Kirche zu gründen. Er hegte den Gedanken, die echten Christen
in einer Art von Abendmahlsgemeinde nach dem Vorbilde der
Urchristen zu vereinigen; an irgend welche zwingende Organisation
dachte er zunächst noch nicht. Und doch drängten die Verhältnisse
ganz von selbst darauf hin. Eigentlich kann man die wittenberger
Unruhen von 1522 schon darauf zurückführen, daß die Anhänger der
neuen Lehre sich gegensätzlich zum Alten einen Zusammenschluß bilden
wollten. So kam es in Leisnig 1523 und zu Magdeburg 1524 zu
Versuchen, unter gänzlicher Vermischung des Kirchlichen und Bürger-
lichen ein neues kirchliches Gemeinwefen zu bilden, das von der
Gemeinde bewilligte Einkünfte in dem „gemeinen Kasten“ vereinigte;
aus diesem sollten Armenpflege und Unterricht bestritten werden, an
der Spitze gewählte Vorstände stehen und das Ganze durch Ver-
sammlungen der gesamten Gemeinde kontrolliert werden, also eine
Einrichtung ganz modernen Charakters mit unverkennbarer Beimischung
eines republikanischen Elementes. Aber man war noch nicht reif für
solche Selbstverwaltung. Die in Leisnig und Magdeburg gemachten
Versuche erwiesen sich als unzulänglich. Dann kam der Bauernkrieg
dazu, der ja nicht etwa nur die ländliche, sondern auch die niedere
städtische Benölkerung mit seinen sozialen Wogen erfaßte. So schien
es auf keine Weise ratsam, durch kirchliche Neuerungen von unten auf
die Sache des Evangeliums zu fördern, sondern nunmehr mußte die
Staatsgewalt eingreifen, nicht zur Befriedigung Luthers. Wie eigen-
tümlich hatte sich doch zwischen ihm und seinem Kurfürsten Friedrich
das Verhältnis gestaltet! Man darf wohl sagen, daß die Haltung
des weisen Einsiedlers von Lochau gegenüber gewissen Wandlungen
Luthers geradezu bewundernswert gewesen ist. Denn Luther blieb
weder bei seiner Ansicht vom Fernhalten der weltlichen Gewalt noch
bei der anfänglich festgehaltenen Duldung der Altgläubigen; er wollte
es nicht und konnte es nicht. Anfänglich hatte er wohl gemeint, man
könne Abendmahl in einer Gestalt nehmen und Messen hören und halten.
Aber dann fuhr er 1523 los gegen den Greuel der Stillmessen, und als
die wittenbergischen Kanoniker sich auf den Kurfürsten beriefen, so ant-