Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

Trankreich. 407 
Die hauptsächlichsten Bestimmungen des Entwurfs lauten: Art. 1. Jedes 
Kind muß in dem Alter von 6 bis 13 Jahren in der Gemeindeschule oder 
in einer Privatschule oder in der Familie ein Minimum von Unterricht er- 
halten, welches die obligatorischen Gegenstände umfaßt. Dieses Minimum 
soll am Ende der Schulperiode durch eine Prüfung constatirt und eventuell 
in einem Zeugniß bestätigt werden. Der Departementalrath kann erklären, 
daß die außerhalb ihrer Familie auf dem Felde oder in Fabriken beschäftigten 
Kinder zu gewissen Zeiten des Jahres täglich nur Einer Klasse beizuwohnen 
haben. Die unter Art. 4 angedrohten Strafen gelten nicht für die Bewohner 
derjenigen Gemeinden, welche nach einer Erklärung des Departementalraths 
außer Stande sind, das Princip der Schulpflicht bei sich durchzuführen; doch 
gilt diese Ausnahme nur für ein Jahr, indem die Regierung binnen dieser 
Frist selbst Schulen in den betreffenden Gemeinden gründen wird. Art. 4. Wenn 
ein Kind im Laufe eines Monats dreimal ohne Entschuldigung fehlt, so wird 
der Vater oder Vormund vor die Schulcommission geladen und verwarnt; 
im ersten Rückfalle wird sein Name auf der Maire vierzehn Tage oder vier 
Wochen lang öffentlich angeschlagen und der Familie allenfalls jede öffentliche 
Unterstützung entzogen; im weiteren Rückfalle können Geldstrafen bis zu 
100 Frcs. und darüber, endlich sogar der Verlust der bürgerlichen Rechte 
auf drei Jahre verhängt werden. Art. 6C. Vom 1. Januar 1880 an wird 
kein Bürger von 21 Jahren in die Wählerlisten eingetragen, der nicht mit 
dem Elementar-Schulzeugniß versehen ist oder sonst den Nachweis führt, daß 
er lesen und schreiben kann. Art. 9. So oft eine Schule sich erledigt, wird 
der Gemeinderath aufgefordert, sich gutachtlich darüber zu äußern, ob die Leitung 
derselben einem weltlichen Lehrer oder einem dem Schulfache gewidmeten Mit- 
gliede einer geistlichen Genossenschaft anvertraut werden soll. Art. 16. Vom 
1. Januar 1876 an darf Niemand mit der Leitung einer Schule betraut 
werden, der nicht das in Art. 25 des Gesetzes vom 15. März 1850 erwähnte 
Fähigkeitszeugniß vorweisen kann. Geistliche Schwestern, welche am 1. Jan. 
1876 bereits vier Jahre als Lehrerinnen thätig sind, bleiben hievon ausge- 
nommen. Art. 17. Die Kosten des Elementar-Unterrichts stehen unter den 
obligatorischen Ausgaben der Gemeinden und Departements in erster Reihe. 
Art. 18. In jedem Departement besteht eine Normal-Schule für Lehrer und 
Lehrerinnen (Seminar) auf Staatskosten. Das Departement hat nur das 
Local zu liefern. Art. 19 specificirt die den Gemeinden zur Last fallenden 
Ausgaben, ohne eine Ziffer für die Gehalte der Schullehrer zu fixiren. 
Art. 20 erstreckt die Bestimmungen des Gesetzes auf Algerien, und Art. 21 
fordert, daß der Unterrichtsminister alljährlich im Monat März der National= 
versammlung einen Bericht über die Lage des Volksunterrichts zu erstatten hat. 
18. Dec. Nationalversammlung: Brunet interpellirt betreffend der Nicht- 
19. 
anwesenheit des Prinzen von Orleans. Der Minister des Innern 
erklärt Namens des Hrn. Thiers: Thiers erachtete es nicht für mög- 
lich, die Prinzen von den Verpflichtungen zu entbinden, welche die- 
selben nicht allein ihm, sondern auch einer Commission der National- 
versammlung gegenüber eingegangen seien. Thiers verzichtet indeß für 
seine Person, sich auf jene Verpflichtungen zu stützen. Nach langer 
erregter Debatte nimmt die Nationalversammlung mit 646 gegen 
2 Stimmen folgende Tagesordnung an: „Die Versammlung hält es 
nicht für angezeigt, bezüglich einer Verpflichtung, woran sie keinen 
Antheil genommen, die Verantwortung zu übernehmen oder einen 
Rath zu ertheilen, und geht zur Tagesordnung über.“ 
„ Nationalversammlung: Die Prinzen Aumale und Joinville nehmen
	        
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