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jener politischen Lyrik gewesen, die den Thronen den Krieg er-
klärte und die Revolution predigte. Hoffmann von Fallersleben,
Herwegh, Freiligrath u. a. gaben in zündenden Weisen und be-
strickender Form dem Ausdrucke, was viele Tausende empfanden,
ohne es sagen zu können oder zu dürfen. In aller Munde war
damals in Sachsen Freiligraths formgewaltiges Gedicht auf die
Leipziger Bartholomäusnacht, d. h. den 12. Aug. 1845, trotzdem es
in ungemessener Weise übertrieb. Von Paris aus ließ sich in ge-
wohnten Tönen Heinrich Heine vernehmen und der ebenfalls dorthin
ausgewanderte Arnold Ruge schrieb gegen deutsche Verhältnisse
immer neue Hetzartikel. — Zunächst trat die Unzufriedenheit deut-
licher in Leipzig hervor. So sehr anscheinend Rob. Blum durch sein
Auftreten gegenüber den Massen sich als Freund der Ordnung zeigte,
so aufreizend wirkte er unter der Hand und durch seine sächsischen
Vaterlandsblätter, wie auch durch sein demokratisches Taschen-
büchlein „Vorwärts“. Es war jedoch wohl zu bemerken, daß
sein Einfluß in den Kreisen der liberalen Kaufmannschaft und
des gebildeten Bürgertums keinen Eingang fand. Dagegen war
er in den kleineren Provinzialstädten überall bei festlichen An-
lässen der gegebene Festredner, der mit kluger Berechnung nur
immer so viel sagte, als notwendig war, stark oppositionelle Ge-
dankengänge zu erwecken und doch keine Handhabe zu behörd-
lichem Einschreiten zu geben. Unterstützt sah er sich vielfach
von jüngeren Rechtsanwälten, die aus Mangel an Praxis sich
auf dem politischen Gebiete eine Zukunft zu eröffnen hofften.
Ferner erwiesen sich auch die in Sachsen wieder erlaubten Turn-
vereine als Pflegestätten einer radikalen Gesinnung. Von dem
Gedanken hingenommen, daß die stehenden Heere abgeschafft und
durch Milizen ersetzt werden müßten, hielt man dafür, daß die
militärische Erziehung überhaupt durch die Turnerei ersetzt wer-
den könne.
So hatten sich die Dinge gestaltet, als die Kunde von der
Pariser Februarrevolution des Jahres 1848 und von dem Sturze
des sog. Bürgerkönigtums nach Deutschland drang. Die Wirkung
war in Sachsen eine viel tiefere als 1830, weil politisches Denken
und Empfinden an der Hand der verfassungsmäßigen Entwickelung
Sturmhoefel, Veschichte der sächsischen Lande. II. 7