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scher Sitte gewesen sei, der sein gegenwärtiges Dasein allein dem
Kaiser Franz verdanke, ein so gefährliches Beispiel habe geben
können; der Kaiser sei fest entschlossen, nicht über eine gewisse
Grenze hinaus ein wohlwollender Zuschauer dieser Unordnungen
zu bleiben. Der sächsische Gesandte in Wien, Graf Schulenburg,
ganz ein Mann der Einsiedelschen Richtung, eilte aus Wien nach
Dresden, um hier seine warnende Stimme ertönen zu lassen.
Lindenau befahl ihm, sich sofort auf seinen Posten zurückzubegeben,
und antwortete, nunmehr des Rückhaltes an Preußen sicher, die
neue Regierung werde durch eigene Kraft ihr monarchisches An-
sehen behaupten, und lehnte weitere Einmischungen kühl ab.
Immerhin saß die neue Regierung in dieser Zeit des Über-
gangs vom Alten zum Neuen noch nicht unbedingt fest im Sattel.
Wie stets in solchen Tagen, war eine radikale Partei vorhanden,
die mit den in Aussicht gestellten Reformen noch lange nicht
zufrieden war. Sie zeigte sich vor allem in Dresden, wo über-
dies noch einige von der polnischen Revolution herübergekommene
Flüchtlinge als politische Märtyrer und Orakel Verehrung genossen.
Ferner aber rekrutierte sie sich aus der durch die Bildung der
Kommunalgarde überflüssig gewordenen und darum am 4. Dez.
1830 aufgelösten Nationalgarde. Diese Auflösung war an sich
schon nicht ohne Widersetzlichkeiten vor sich gegangen. Aus den
bisherigen Mitgliedern, die in hochtönenden Worten Verwahrung
einlegten gegen die Beschimpfung, die „der gesamten National-
garde nicht bloß in Europa, sondern auch in anderen Weltteilen
widerfahren“ sei, bildete sich ein sog. Bürgerverein. In ihm führte
der Advokat Mosdorf das große Wort und von ihm stammte
der Entwurf zu einer „Konstitution, wie sie die Sachsen wollen“.
Sie trug die Aufschrift: „Und wird sie nicht gewährt, so pochen
wir mit den Flintenkolben an!“ und forderte Volkssouveränität,
Abschaffung des Adels und des stehenden Heeres. Zudem führten
die Sachsenzeitung, der Vaterlandsfreund, die Zwickauer „Biene“
eine aufreizende Sprache und mit Umgehung der sächsischen Zensur
oder in Winkeldruckereien gedruckt fanden radikale Flugschriften
große Verbreitung. Als zwei Verbreiter solcher Flugschriften,
die natürlich auch Mitglieder des Bürgervereins waren, ver-
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