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der norddeutschen Reichsverfassung wurde vom Reichstag am
16. April mit 230 gegen 53 Stimmen angenommen. Nun ge-
langte er aber erst vor das Forum der Einzellandtage. Die säch-
sischen Kammern, die wegen jener Verhandlungen am 16. Febr.
hatten vertagt werden müssen, waren hierzu auf den 29. April
wieder einberufen worden. Entsprechend der Haltung der Re-
gierung, die sich bei den Beratungen der Bundesbevollmächtigten
jedes Amendements enthalten hatte, votierte die erste Kammer
am 4. Mai einstimmig die Annahme. In der zweiten Kam-
mer war dagegen jene Partei wieder aufgetaucht, die ihren poli-
tischen Katechismus unabänderlich fest im Jahre 1848 konstruiert
hatte und nun vor allem in der neuen Bundesverfassung die
geliebten Grundrechte vermißte; auch wünschte sie Ministerverant-
wortlichkeit und nahm Anstoß an der Festlegung des Militär-
budgets bis 1871. In der Debatte über den Militäretat wurde
damals auch schon der fromme Wunsch nach einer europäischen
Friedenskonferenz laut. Doch zählten die Charaktervollen von
1848, die die neue Verfassung ablehnten, nur sechs Häupter;
die übrigen 66 Mitglieder waren froh, diesmal mit Aussicht auf
ein real sich bekrönendes Reichsgebäude die Verfassung annehmen
zu können.
Aber noch eine andere wichtige Frage wurde schon im März
des Jahres angeregt, wennschon nicht in dieser Session zu Ende
gebracht, die Frage des sächsischen Landtagswahlrechtes. Es hatte
doch einen tiefen Eindruck gemacht, daß am 12. Febr. 1867 jeder
unbescholtene Sachse, der 25 Jahre alt war, ohne Ansehung der
Person und ohne Unterschied des Einkommens zur Wahlurne hatte
schreiten und seinen Abgeordneten selbst wählen dürfen. Zur
selben Zeit, wie im konstituierenden Reichstag das Reichswahl-
gesetz zur Debatte stand, trat auch die sächsische Regierung mit
einem neuen Wahlgesetzentwurf vor die Kammern. Die Stim-
mung im Lande gegenüber der ganzen Frage gab in der zweiten
Kammer der Abgeordnete Koch im März 1867 Ausdruck, wenn
er sagte: „Das Verlangen nach Reform unserer Verfassungs-
urkunde und unseres Wahlgesetzes ist nicht mehr bloß das Ver-
langen einer politischen Partei im Lande. Es ist zum Ver-