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sprach sich die evangelisch-lutherische Kirchenkonferenz in Meißen
am 10. Juni 1874 sehr energisch gegen die Einführung der obli-
gatorischen Zivilehe aus, und dementsprechend stimmte Sachsen
im Bundesrate mit der Minorität, der u. a. auch Sachsen-Weimar,
Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, im ganzen
17 Stimmen, angehörten, gegen die Majorität von 41 Stimmen,
welche für das Zivilstandsgesetz war. Die infolge der Neuord-
nung in ihrem Einkommen durch den Wegfall der Stolgebühren
geschädigten Geistlichen bildeten den Gegenstand der Vorlage vom
Februar 1876 an den Landtag, die die Entschädigung der Geist-
lichen behandelte.
Wenn man kirchlicherseits aber von der Einführung der Zivil-
standsgesetze einen namhaften Rückgang des kirchlichen Sinnes
befürchtet hatte, so traf diese Befürchtung nicht zu. Wenn auch
im Jahre 1876 die Zahl der verweigerten Taufen 337, die der ver-
weigerten Trauungen 286 betrug, so zeigte sich das doch mehr als
sozialdemokratische Modesache und nahm bald wieder ab. 1884
betrug die Zahl der verweigerten Taufen nur 23, die der Trauungen
nur noch 30. Allerdings zeigte sich, ganz parallel gehend mit dem
Anwachsen der sozialistischen Bewegung, 1895 auch wieder ein
Anwachsen der Tauf= und Trauverweigerungen, nämlich bezw. 115
und 286. Aber man konnte sich billig fragen, ob diese Elemente
überhaupt für eine christliche Kirche noch begehrenswert waren. In
dieses Kapitel gehören auch die Austritte aus der evangelischen
Landeskirche in Verbindung mit dem großen Streik der Textil-
arbeiter in Krimmitschau während des Winters 1903/04. Dahin-
gegen zeigte die protestantische Kirche doch auch wiederum An-
ziehungskraft genug, um 1877—1895 1593 Übertritte aus der
katholischen Kirche hervorzurufen, während in derselben Zeit nur
543 Ubertritte zur katholischen Kirche zu registrieren waren. Frei-
lich kam der katholischen Kirche starker Zuwachs durch polnische und
namentlich tschechische Einwanderung, die auch eine wirtschaftliche
und soziale Gefahr in sich barg. Deshalb richteten im April 1902
die Großindustriellen Sachsens eine Petition an die Regierung,
beim Bundesrate ein sofortiges Verbot gegen diese Einwanderung
zu erwirken. Der protestantischen Kirche aber lag es bei dem starken
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