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geworden, das schon bei der Neuorganisation der Partei 1874
als eine Art Vorort neben Hamburg ausersehen worden war und
sich namentlich seit der Verhängung des kleinen Belagerungs-
zustandes über Hamburg und Berlin zu einem Hauptmittelpunkt
der Partei und der sozialdemokratischen Agitation ausgebildet
hatte. Die sächsische Regierung stellte deshalb beim Bundesrat
den Antrag, die in § 28 des Sozialistengesetzes erwähnten Maß-
regeln auch auf Leipzig anzuwenden. Dem Antrage wurde statt-
gegeben, und so verkündete das königl. Gesamtministerium am
27. Juni 1881 die Verhängung des kleinen Belagerungszustandes
auch über Leipzig, und zwar sollte dieser schon am 28. Juni in
Kraft treten. An diesem Tage wurden demzufolge Bebel, Lieb-
knecht, Hasenclever und andere Sozialdemokraten aus Leipzig aus-
gewiesen und die Verteilung von Druckschriften und Abhaltung
von Versammlungen einer strengen polizeilichen Kontrolle unter-
stellt. Am 16. Juni 1882 und 18. Sept. 1884 wurde diese Maß-
regel vom Bundestage auf je ein Jahr verlängert. Im letzt-
genannten Jahre wurde auch vor dem Reichsgericht zu Leipzig
in den Tagen vom 15.—22. Dez. der Prozeß gegen den Sozialisten
Reinsdorff und Genossen entschieden, die bekanntlich bei der Ent-
hüllung des Nationaldenkmals auf dem Niederwald am 28. Sept.
1883 gegen den Kaiser und die dort versammelten Reichsfürsten
ein verruchtes Attentat vorbereitet hatten, das nur durch eine
ganz besonders gnädige Fügung nicht zum Gelingen gebracht
worden war. Das Urteil des höchsten Gerichtshofes konnte nicht
anders als auf Tod erkennen. Weit minder wichtig, aber immer-
hin in seinen Einzelheiten interessant war der Prozeß, der sich
in der Zeit vom 26. Juli bis 4. Aug. 1886 vor dem Landgericht
in Freiberg gegen die wegen Unterhaltung geheimer Verbindungen
angeklagten v. Vollmar, Bebel, Auer, Ulrich, Frohme und Viereck
und einige andere „Genossen“ abspielte. Nachdem im September
des Vorjahres das Landgericht zu Chemnitz die Angeklagten frei-
gesprochen hatte, ein Urteil, welches vom Reichsgericht aufgehoben
worden war, verfügte man in Freiberg je 9 Monate Gefängnis
für die Genannten, für ihre Komplicen je 6 Monate.
Mit dem Erlöschen des Sozialistengesetzes am 1. Okt. 1890