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indirektes Klassenwahlrecht treten unter besonderen Garantien
dafür, daß Personen mit hohem Einkommen nicht ein unverhält-
nismäßiger Einfluß dabei zuteil wird. 2. Keinem, der jetzt das
Wahlrecht besitzt, soll dasselbe künftig genommen werden. 3. Die
gegenwärtig durch die Verfassung festgelegte Scheidung zwischen
Stadt und Land soll aufrecht erhalten bleiben. 4. Es soll keine
Integralerneuerung der zweiten Kammer stattfinden, sondern das
neue Wahlsystem soll vielmehr nach und nach bei den Ergänzungs-
wahlen in Kraft treten.
Diesem Programm schlossen sich die Führer der national-
liberalen und fortschrittlichen Fraktion sofort in der Sitzung
im Prinzipe an; außerdem wurde von einem Teile der Kammer-
mehrheit die Beibehaltung der geheimen Abstimmung als ein
wesentliches Erfordernis bezeichnet. Seitens der Regierung aber
erfolgte eine zustimmende Erklärung und das Versprechen, dem
Landtage noch in dieser Session eine entsprechende Vorlage zu
unterbreiten. Würden die Sozialdemokraten gewußt haben, welche
Gegenmine gegen sie schon in Bereitschaft lag, so würden sie sich
wohl das Vergnügen versagt haben, ihr altes Steckenpferd wieder
neu aufzuzäumen und einen, wie sie von vornherein wissen mußten,
ganz aussichtslosen Antrag einzubringen.
Die Regierung machte ihr Versprechen alsbald wahr. Am
5. und 6. März 1896 kam die Vorlage in der zweiten Kammer
zur Beratung, erlitt einige unwesentliche Abänderungen und wurde
mit 56 von 79 Stimmen angenommen. Die erste Kammer trat
diesem Votum am 18. März einstimmig bei und schon am 28. März
1896 wurde das neue Wahlgesetz publiziert. Die Grundzüge
desselben ähnelten denen des preußischen Wahlrechts, wie es die
revidierte Verfassung vom 6. Febr. 1850 enthielt, wichen aber
doch in manchem wichtigen Punkte davon ab. Hauptsache war, daß
das bisherige direkte Wahlrecht durch ein indirektes ersetzt wurde,
d. h. die Wählerschaft zerfiel von nun an in Urwähler und Wahl-
männer, welch letztere von jenen gewählt wurden und dann selbst erst
den Abgeordneten wählten. Ganz wie in Preußen zerfallen die
Urwähler in drei Klassen. Die erste Klasse umfaßt die höchst-
besteuerten Urwähler, die ein Drittel der Gesamtsumme der Steuer-