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müssen, dagegen weder der Abgeordnete dem Kreise, noch der
Wahlmann der Klasse, wo er gewählt wird. Was die Unter-
schiede von den preußischen Bestimmungen angeht, so ist auf
ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal schon aufmerksam gemacht
worden in der Handhabung der Wahlmännerwahl für die erste
Abteilung Ein nicht unwesentlicher Unterschied besteht ferner
darin, daß das preußische Wahlgesetz für jede Vollzahl von 250
Seelen der Gesamtbevölkerung einen Wahlmann bestimmt. Sehr
wichtig ist endlich ein anderer, daß nämlich in Sachsen sowohl die
Wahlmännerwahlen durch die Urwähler als auch die Abgeordneten-
wahl durch die Wahlmänner eine geheime ist, während sie in
Preußen öffentlich ist und jede Stimme zu Protokoll ge-
nommen wird.
Es ist hier nicht der Ort, in eine Kritik des neuen Gesetzes
einzutreten, das zu einem bestimmten Zwecke geschaffen war, diesen
Zweck zwar erfüllt hat, dabei aber zugleich seine Unzulänglich-
keit für die Anforderungen der Zeit auch für die große Mehrzahl
billig denkender Konservativer deutlich an den Tag gebracht hat.
Zweifellos hatte man das Ziel erreicht unter scheinbarer Wahrung
eines konstitutionellen Prinzips und des Einzelwahlrechts die Wahl
eines Sozialdemokraten fast zu einer Unmöglichkeit zu machen,
falls nicht durch Aufstellung mehrerer Kandidaten die Ordnungs-
parteien sich zersplitterten und durch Uneinigkeit und Quertreibereien
dem Sozialdemokraten zum Siege verhalfen. Auch das Wahlgesetz
von 1896 hat also Einigkeit unter den Ordnungsparteien zur Vor-
aussetzung. Deshalb bildete sich am 24. April 1896 eine Vereinigung
der konservativen, nationalliberalen und fortschrittlichen Parteien,
die zum Zwecke einheitlichen Vorgehens gegen die Sozialdemokratie
einen ständigen Seniorenkonvent aus Vertretern der genannten
Parteien niedersetzte.
Am selben 28. März, der die Publikation des neuen Wahl-
gesetzes gebracht hatte, wurde der Landtag geschlossen. In der
Thronrede äußerte sich der König u. a. über jenes folgendermaßen:
„Der weitaus wichtigste Gegenstand, den Sie in dieser Session zu
beraten hatten, war der Gesetzentwurf wegen Anderung der gesetz-
lichen Bestimmungen über die Wahlen zur zweiten Kammer. Die