Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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vereinzelt dastanden, so mußte man es aufs tiefste bedauern, daß 
der am 2. Juni 1899 dem Reichstag zugegangene Gesetzentwurf 
zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses, die sog. „Zucht- 
hausvorlage“, wie sie die Sozialdemokratie haßerfüllt nannte, 
am 20. Nov. vom Reichstage abgelehnt wurde, da Zentrum und die 
liberalen Parteien mit den Sozialdemokraten dagegen stimmten. 
Die von nationalliberaler Seite bei diesen Verhandlungen 
ausgesprochene Überzeugung, daß der gesunde Sinn der Arbeiter 
schließlich von selbst unter dem Drucke der Verhältnisse in die 
richtigen Bahnen einlenken werde, wurde auf eine harte Probe 
gestellt durch die Streiks der Bergarbeiter, die seit Anfang Februar 
die deutschen Kohlengebiete, speziell aber die sächsischen von Zwickau- 
Oelsnitz-Lugau und die sächsisch-thüringischen von Weißenfels-Zeitz 
und Meuselwitz heimsuchten. Denn hier handelte es sich nicht nur 
um Lohnerhöhungen, die jedermann, soweit das irgend angängig 
ist, den Vertretern dieses gefährlichen und aufreibenden Berufes 
gut und gern gönnt, sondern die Bergarbeiter forderten vor allem 
Einstellung der Kohlenlieferungen nach Osterreich; denn dort waren 
seit Anfang Januar, namentlich in den nordböhmischen Kohlen- 
revieren, nach und nach 70000 Arbeiter in Ausstand getreten, 
dessen Erfolg natürlich in Frage gestellt wurde, wenn fremde 
Kohleneinfuhr das Bedürfnis deckte. Die Haltung der sächsischen 
Grubenverwaltungen war äußerst fest. Man wies zunächst alle 
Forderungen schroff zurück, verbot Geldsammlungen, beschlag- 
nahmte Flugblätter und drohte den Ausständigen mit dem Ver- 
lust ihres Anteils an den obenerwähnten Knappschaftskassen. Das 
half. Anfang März war der Ausstand zu Ende. Aber nun wurde 
ein ebenso politisch-kluger als menschlich-richtiger Schritt getan: 
am 8. März beschlossen sämtliche Kohlenwerke des Zwickauer 
Reviers eine allgemeine Lohnerhöhung für ihre Bergarbeiter. Auf 
diese Weise legte die Verwaltung klar an den Tag, daß sie be- 
rechtigte Forderungen von unberechtigten wohl zu unterscheiden 
wisse und ebenso bereit sei, jene durch die Tat anzuerkennen, als 
diese mit Energie zurückzuweisen. Ganz recht bezeichnete der 
Minister von Metzsch bei der Kammerdebatte über den Streik 
am 22. Febr. den gegenwärtigen Ausstand als eine Kraftprobe
	        
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