Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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Aber diese Neuerung galt doch nur der höheren Gerichts- 
barkeit. Die niedere war teils vertreten durch die Stadtgerichte, 
die ihre Kontrolle durch die neue Städteordnung erhielt, und 
durch die Patrimonialgerichtsbarkeit der Rittergutsbesitzer, die 
jeder Kontrolle eigentlich entbehrte. Es bestanden in den Erb- 
landen über 900 Patrimonialgerichte, in der Oberlausitz 222. 
Die Rechtsverwirrung, die dadurch hervorgerufen wurde bei jedem 
Mangel einer einheitlichen Norm, wurde noch dadurch vermehrt, 
daß an verschiedenen Punkten die Gerichtsherrlichkeit von zwei bis 
sechs Inhabern zusammentraf, während es andererseits einzelne 
Gebäude gab, die sich im Laufe der Zeit eigene Gerichtsbarkeit er- 
halten hatten. Wenn der Gerichtsherr die Gerichtsbarkeit aus diesem 
oder jenem Grunde nicht ausübte, so mußte er sich einen Gerichts- 
halter bestellen; da dieser in der Hauptsache auf Sporteln an- 
gewiesen war, so litt natürlich darunter ebenso die Schnellig- 
keit als die Unparteilichkeit der Rechtspflege. Dabei war unter 
der Ritterschaft schon seit 1811 eine Bewegung im Gange, dem 
Staate die Kriminalgerichtsbarkeit abzutreten, weil jeder von frem- 
dem Gebiete hereinkommende Fall einen bei der Umständlichkeit 
des Verfahrens ungemein großen Kostenaufwand verursachte. 
Andererseits waren Leute, wie der für die Entstehung der Ver- 
fassung hochverdiente A. von Carlowitz, der Meinung, daß die 
Gerichtsbarkeit des Grundherrn, wenigstens in den Streitigkeiten 
um Mein und Dein dessen idealstes Vorrecht sei, das ihn nun- 
mehr noch einzig von den anderen Landständen abhöbe. Dem- 
gemäß legte die Regierung den Kammern zwei Gesetzentwürfe 
vor, den einen, der die volle Aufhebung der Patrimonialgerichts- 
barkeit befürwortete und am Justizminister seinen Vertreter fand, 
und den anderen, wonach unter gewissen Reformen die Patrimonial- 
gerichtsbarkeit unter Anfall der Kriminaljustiz an den Staat fort- 
bestehen sollte; er fand seinen Fürsprecher an dem Prinzen Johann. 
Die zweite Kammer nahm den Entwurf der völligen Beseitigung, 
die erste den der teilweise reformierten Patrimonialgzesetzgebung 
an, und die Folge war, daß es beim akten blieb und unnötiger- 
weise ein gefährlicher Zündstoff für die Zukunft aufgehäuft 
wurde.
	        
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