Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. II. Band, 2. Abteilung. Das Albertinische Sachsen von 1815-1904. (4)

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wenn er glaubte sein Volk kenne ihn und werde die Liebe, die 
es seinem Bruder gewidmet habe, auch auf ihn übertragen. Still 
hatte er immer im Hintergrunde gestanden, sozusagen im Schatten 
seines immer von der Sonne des Glücks bestrahlten Bruder. Seine 
Art war es nie gewesen, in der offenen, bis zu einem gewissen 
Grade vertraulichen Art jenes mit den Leuten zu verkehren; das 
war nicht Stolz und Menschenverachtung, wie es oft genug aus- 
gelegt worden ist; sondern eine innerliche Zurückhaltung, eine 
gewisse Scheu vor der Außenwelt war ihm von Jugend auf eigen 
gewesen. Man darf wohl sagen, daß König Albert das sonnige 
und lebensfrohe Temperament seiner bayrischen Mutter geerbt 
hatte, während Prinz Georg mehr das Träumerische, Sich- 
abschließende des Vaters in sich trug. Des Horaz bekannte Ode: 
Odi profanum vulgus et arceo war eines der Lieblingsgedichte 
des Vaters gewesen; er hatte sie, wie manches andere Gedicht 
des menschenkundigen Römers in die Muttersprache übersetzt: „Un- 
heiligen Pöbel hasse und fliehe ich“ — so hatte wohl auch der 
Sohn es sich zu eigen gemacht, die laute Menge von der Tempel- 
schwelle des Gemüts fernzuhalten. So urteilte schon sein Er- 
zieher Albert von Langenn über ihn, wenn er ihm Lebhaftigkeit 
der Einbildungskraft und Neigung zur Absonderung zuschrieb, und 
dann fortfuhr: „Er sehnt sich nicht sehr nach der Außenwelt, er 
bildet sich eine Welt für sich; in Gesellschaft mit anderen Kindern 
ist er heiter, wohl mitunter sehr heiter; aber es treten sofort auch 
Augeublicke ein, wo er sich selbst aus munteren Kreisen absondert.“ 
Was von dem Knaben galt, urteilte der Vater auch von dem Jüng- 
linge, als er für diesen einen längeren über das Wintersemester 
1850/51 hinausreichenden Aufenthalt in Bonn wünschte, wo der 
Prinz gleich seinem Bruder seit 1849 studierte und zum Studien- 
genossen u. a. den Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, 
den nachmaligen Kaiser Friedrich III., hatte. Damals schrieb der 
Vater: „Bei seiner Neigung zu einem mehr in sich gekehrten, 
kontemplativen Leben bedarf er des äußeren Anstoßes, um sich 
in der Welt und unter den Menschen bewegen zu lernen und 
manche Ecke seines Charakters abzustoßen, wozu im Vaterhaus 
und im Vaterland sich keine Gelegenheit bietet.“ Doch wurde
	        
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