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daß die Frau Kronprinzessin am 9. Dez. vormittags 11 Uhr 5 Mi-
nuten nach Salzburg zum Besuche der Eltern abgereist sei. Aufmerk-
samer jedoch wurde man, als am 17. Dez. die amtlichen Blätter
von einer Erkrankung der Frau Kronprinzessin meldeten, die da-
durch wohl auf längere Zeit an der Rückkehr an den Dresdener
Hof gehindert sein würde. Gleichzeitig aber verbreitete sich ein
ganz ungeheuerliches Gerücht, das niemand glauben wollte und
doch schon von auswärtigen Zeitungen gebracht wurde. Am 22. Dez.
wurde auch amtlich bekannt gegeben, daß „Ihre Kaiserliche und
Königl. Hoheit die Frau Kronprinzessin in der Nacht vom
11./12. dieses Monats in einem anscheinend krankhaften Zustand
seelischer Erregung Salzburg plötzlich verlassen und sich unter
Abbruch aller Beziehungen zu höchstihren hiesigen Angehörigen
ins Ausland begeben habe.“ Erst am 28. Dez. wurde amtlich die
unterdessen schon allgemein bekannt gewordene Tatsache zugegeben,
daß die Kronprinzessin sich mit dem zum französischen Unterrichte
ihrer Söhne auf Empfehlung eines belgischen Prälaten enga-
gierten Brüsseler Sprachlehrer, André Giron, heimlich getroffen
habe und nach der Schweiz abgereist sei. In Genf tauchten dann
beide auf. Noch vor Abschluß des Jahres wurde am 30. Dez.
amtlich bekannt gegeben, daß der Kronprinz auf Grund von §5 1575
des Bürgerlichen Gesetzbuches und nach dem in §5 12 Abs. 2 des
Nachtrags vom Königl. Hausgesetz vom 20. Aug. 1879 ange-
ordneten Verfahren mit Erlaubnis des Königs auf Aufhebung
der ehelichen Gemeinschaft geklagt habe. Jene Bestimmung des
Hausgesetzes, die sich der Sache nach genau so schon in dem vom
Könige Friedrich August II. erlassenen Hausgesetz vom 30. Dez.
1837 § 77 Abs. 3 findet, lautet aber: „Zu Entscheidung von Ehe-
irrungen wird der König in vorkommenden Fällen jedesmal ein
besonderes Gericht niedersetzen und das Verfahren desselben be-
stimmen.“ Der aus dem Bürgerlichen Gesetzbuche angezogene
Paragraph 1575 lautet: „Der Ehegatte, der auf Scheidung zu
klagen berechtigt ist, kann statt auf Scheidung auf Aufhebung der
chelichen Gemeinschaft klagen.“ Eine Scheidungsklage aber an-
zustrengen verbot dem Prinzen seine Kirche, welche die Ehe als
Sakrament ansieht und ihr deshalb den Charakter der Unzerstör-