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barkeit zuschreibt. Die katholische Kirche kann eine Ehe wohl für
nichtig erklären, wenn formelle oder sachliche Gründe sie schon
beim Abschluß als keine vollkommene Ehe erscheinen lassen, aber
nicht im Sinne der protestantischen Kirche scheiden; dagegen ge-
stattet sie die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft, verbietet
aber die Wiederverheiratung sowohl des schuldigen als des nicht-
schuldigen Teiles. Die Ungültigkeits= oder Nichtigkeitserklärung
einer Ehe hat natürlich für die während derselben geborenen
Kinder kirchlich genommen die Konsequenz der Illegitimität.
Als Gerichtshof für den vorliegenden Fall setzte König Georg
durch Verordnung vom 30. Dez. 1902 den Präsidenten und sechs
Richter des Oberlandesgerichtes nieder. Die Verkündung des Ur-
teils fand am 11. Febr. 1903 nachmitags 4 Uhr 20 Minuten statt
und lautete, selbstverständlich im Sinne des § 1575, dahin, daß
die Ehe wegen Ehebruchs der Frau Beklagten, begangen mit dem
Sprachlehrer André Giron, dem Bande nach getrennt sei. Am
15. Juli 1903 gestattete eine Verordnung des Königs der Prin-
zessin, die schon durch Verordnung vom 14. Jan. 1903 als aus
dem Königlichen Hause ausgeschieden erklärt worden war, den
Titel einer Gräfin Montignoso zu führen. Zur Charakterisierung
aber der nunmehr geschaffenen Situation dienen die §§ 1586 und
1588 des Bürgerlichen Gesetzbuches, deren ersterer besagt: „Wird
nach § 1575 die eheliche Gemeinschaft aufgehoben, so treten die
mit der Scheidung verbundenen Wirkungen ein; die Eingehung
einer neuen Ehe ist jedoch ausgeschlossen“, und letzterer: „Die
kirchlichen Verpflichtungen in Ansehung der Ehe werden durch die
Vorschriften dieses Abschnitts (nämlich des Titels 7 über Schei-
dung der Ehe) nicht berührt.“ Nun heiratete aber die Gräfin
Montignoso am 25. September 1907 den 23 jährigen Pianisten
Enrico Toselli durch standesamtliche Trauung in London, weil
das englische Gesetz nicht auf demselben Boden steht, wie die 88 1575
u. 1586; selbstverständlich war diese zweite Ehe auf deutschem
Boden nicht rechtsgültig, und noch weniger nach kanonischem
Rechte, und man wäre wohl berechtigt, sie direkt als Bigamie zu
bezeichnen. Trotzdem entschied sich König Friedrich August in einer
unter seinem Vorsitz am 27. Sept. 1907 abgehaltenen Sitzung sämt-