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„Die wesentlichsten Abweichungen in den Lautverhältnissen einer
jeden Mundart von denen der Schriftsprache (sagt derselbe) sind wohl
am natürlichsten aus dem Streben nach größtmöglichster Bequemlich-
keit und Leichtigkeit im Sprechen zu erklären.“
Daher im erzgebirgischen Dialekt die Entwickelung einer Reihe
eigenthümlicher Vokale und die ungewöhnliche Aussprache mehrerer
Consonanten. -
Durch Trübung der drei Urvokale sind drei neue als Misch-
laute entstanden; daher ein helles und ein dumpfes a in den ver-
schiedensten Schattirungen; ein spitzes und ein breites i und e sowie
ein dumpfes o und ein helles u. Bei den Consonanten erspart sich
der Gebirger in vielen Fällen den Aufwand von Muskelthätigkeit und
spricht sie rein vokalisch aus (läßt sie weg); die ähnlich lautenden
Consonanten spricht er gleich aus und kennt keinen Unterschied zwischen
scharfen und weichen Consonanten.
Die Wortbildungen sind durch Laut und Ablaut, Ableitung und
Zusammensetzung begründet; nicht selten aber hat ein Wort im Sprach-
gebrauche eine andere Bedeutung erhalten, wie in der Schriftsprache.
Verschiedene Substantiva haben in der Mundart ein anderes
Geschlecht, als ihnen in der Schriftsprache zukommt.
Bei der Conjugation endlich hat sich in der erzgebirgischen
Mundart der Unterschied von starker und schwacher Conjugation überall
erhalten; für den schriftdeutschen Ablaut tritt jedoch der entsprechende
mundartliche Vokal ein.
Sprachproben aus der Mundart sollen nicht allein ein getreues
Bild von der Sprache geben, sondern auch einen Einblick in das
geistige Leben eines Volkes gewähren . . In ihrer wahren Gestalt
zeigt sich die Sprache als die Eigenart des Volkes in seinen Liedern,
Sagen und Erzählungen, ganz besonders aber in seiner Spruchweisheit.
Hier treten uns die Sprache und die Sprechweise des Volkes am
unmittelbarsten entgegen. (Göpfert S. 39.)
Aber es kann Niemandem die Thatsache entgehen, daß seit Jahr-
zehnten die erzgebirgische Mundart ihre Eigenthümlichkeiten immer
mehr aufgiebt. Der wachsende, Alles gleichmachende Verkehr hat schon
manche althergebrachte Sitte verdrängt, manchen ehrwürdigen Brauch
bei Seite geschoben, und wie die altväterische Tracht verschwunden
ist, so wird auch die heimische Mundart mit der Zeit immer mehr
an die Wand gedrängt werden, je mehr der Flitterstaat vornehmer
Rede mit seinem modernen Aufputz Umfang gewinnt.
Der Volksschule ist es vorbehalten, die Pflegerin der deutschen
Sprache im besten Sinne des Wortes zu sein und zu bleiben.
Schon vor einer längeren Reihe von Jahren hat man begonnen,