Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

1848 Dahlmann's Verfassungsentwurf. 161 
Geister so mächtig und so weit aus dem bisherigen gewohn- 
heitsmäßigen Sonderthum emporzureißen? Nach den Er- 
fahrungen des Vorparlaments war diese Frage, wie wir 
wissen, zu verneinen, und damit dem Werke Dahlmann's 
nicht der innere Werth, wohl aber die praktische Brauchbar- 
keit in jenen Tagen abgesprochen. 
Was den Umfang des neuen Reiches betraf, so dachte 
Dahlmann, außer Schleswig auch Ost= und Westpreußen und 
halb Posen, mithin den gesammten preußischen Staat in das 
Reich einzubegreifen. Anders aber war seine Meinung über 
die österreichischen Kronlande. Er knüpfte hier an die That- 
sache an, daß an demselben 11. April, an welchem der Bundes- 
tag auf Preußens Antrag dessen Ostprovinzen in den Bund 
aufnahm, Kaiser Ferdinand seinen ungarischen Staaten ein 
eigenes, dem Pester Reichstag verantwortliches Ministerium 
bewilligt hatte, und hiemit die Verbindung der cis= und 
transleithanischen Reichshälfte auf die bloße Personalunion 
beschränkt war. Dahlmann acceptirte dies Verhältniß auch 
für das deutsche Reich. Die Länder der ungarischen Krone 
haben mit Deutschland nichts zu schaffen, Cisleithanien aber 
soll zum deutschen Reiche gehören, sich allen Gesetzen und 
Anordnungen der deutschen Reichsgewalt unterwerfen, einen 
Theil des deutschen Zollgebietes bilden, und die Hälfte des 
österreichischen Heeres mit den deutschen Reichstruppen ver- 
schmolzen werden. Jedermann wußte, daß der Kaiser von 
Osterreich, selbst wenn man ihm die deutsche Reichskrone an- 
böte, auf solche Bestimmungen nicht eingehen werde: es war 
also deutlich für alle Welt, daß Dahlmann's Entwurf das Aus- 
scheiden Osterreichs und folglich die Erhebung des preußischen 
Königs auf den deutschen Kaiserthron zur Voraussetzung hatte. 
v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. I.
	        
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