Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Erster Band. (1)

1848 Haltung Bayerns und Osterreichs. 167 
eine große nationale Agitation aller Slavenstämme, welche 
heftig gegen jede engere Verbindung mit Deutschland protestirte; 
in Böhmen und Mähren lagen Czechen und Deutsche in 
offenem Hader, und mehr als vierzig Bezirke weigerten jede 
Wahl zum deutschen Parlamente. Zugleich war auch in 
Wien eine starke Ebbe in dem tricoloren Jubel der Märztage 
eingetreten. Die Bürger fürchteten, daß Wien als Theil 
eines deutschen Reiches zum niedern Rang einer Provinzial- 
stadt herabsänke; die Industriellen vernahmen mit Schrecken, 
daß sie im deutschen Reiche den Zollschutz gegen den deutschen 
Westen verlieren würden; die Handwerker wollten nichts von 
der in den deutschen Grundrechten vorkommenden Gewerbe- 
freiheit und Freizügigkeit wissen. Unter den Politikern kam 
das Schlagwort auf: wir sind zuerst Osterreicher und dann 
erst Deutsche. Ein im April in Wien anwesendes Mitglied 
des Fünfziger-Ausschusses, selbst ein Wiener, bemerkte mit 
Kummer, daß an den Häusern wieder viele schwarz-gelbe 
Fahnen neben den deutschen sichtbar wurden; man schaut, 
sagte er, hier mehr nach Osten und die Donau hinab, als 
nach Westen zum deutschen Reich. Die Regierung selbst war 
von derselben Gesinnung erfüllt. Der Ministerpräsident, 
Graf Ficquelmont, hätte am liebsten alle Parlamentswahlen 
abbestellt, er fürchtete nur, daß man deutscher Seits ein 
solches Verhalten für das völlige Ausscheiden Osterreichs aus 
dem Bunde erklären würde, und von einer solchen Absicht 
war er freilich weit entfernt. Vielmehr war das ganze 
Ministerium so fest wie möglich entschlossen, unter allen Um- 
ständen die herrschende Stellung ebenso im neuen wie im 
alten Deutschland zu behaupten. Daß damit die Umwandlung 
des deutschen Staatenbundes in einen Bundesstaat und folglich
	        
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