1860 Kurhessischer Verfassungsstreit. 415
Krisis zu vollem Ausbruch führte. Es war der in Kur-
hessen durch das Ministerium Hassenpflug angezettelte Ver-
fassungsstreit.
Kurfürst Friedrich Wilhelm von Hessen war vielleicht
der unseligste Mensch unter seinen fürstlichen Zeitgenossen.
Von Natur nicht unbegabt, scharfsinnig, schlau, von colossalem
Gedächtniß, war er in heillosen Familienverhältnissen heran-
gewachsen. Von dem liederlichen Vater mißhandelt, gegen
die treffliche Mutter verhetzt, auf jeder Seite von Spionen
umlagert, war sein geistiges und sittliches Wesen in der
Entwicklung stecken geblieben, verkümmert und verbildet. Er
hatte sich für immer mit Mißtrauen gegen alle Menschen
erfüllt, verstattete als Fürst seinen Ministern keine selbständige
Verfügung auch über die geringfügigste Angelegenheit, kam
aber bei jeder, da er böswillige Pläne hinter jedem Antrag
witterte, seinerseits wochenlang zu keinem Entschluß, so daß
mit jedem Jahre Gesetzgebung und Verwaltung seines Landes
in immer tiefere Stockung und Versumpfung geriethen. Nebenbei
entwickelte sich aus seinem Argwohn gegen alle Welt eine
tückische Neigung, sich dafür an den Einzelnen durch kleine
Schädigung und Schabernack zu rächen; das Unheilvollste aber
war, daß er aus Herzensneigung eine unebenbürtige Ehe
geschlossen hatte, und nun mit innerem Grimm seine zahlreichen
Kinder ohne Anspruch auf die Thronfolge aufwachsen sah.
So war der höchste Segen der Erbmonarchie, die Verschmelzung
der Vaterliebe und der Regentenpflicht, bei ihm in sein Gegen-
theil verkehrt; er war seinem Lande entfremdet und hatte
neben oder statt des öffentlichen Wohls die Bereicherung
seiner Familie auf Kosten der Dynastie und des Staats im
Sinne. Einen steten bittern Haß widmete er demnach der