Die süddeutschen Kammern. 53
Allerdings hatten sie über die Formen dieses Staats sehr oft
unklare und unpraktische Vorstellungen, und einzelne Gruppen
unter ihnen steigerten die Begeisterung zu wildem Fanatismus
und waren bereit, Schwert und Dolch zum Tyrannenmord zu
ergreifen. Niemals aber gelang es ihnen, in dem großen
Vereine für solche Entwürfe einen erheblichen Anhang zu
gewinnen. Gleichzeitig erhielten Bayern und Baden ihre Ver-
fassung, und in München, wie in Karlsruhe erhob die liberale
Mehrheit der Abgeordneten den Ruf nach Erweiterung ihrer
Rechte und entwickelte ein Programm, in welchem alle jene zu
Wien abgewiesenen preußischen Forderungen nebst inhaltreichen
Zusätzen wieder kehrten. Eine sehr lebhafte Bewegung der
Presse in Süddeutschland, Thüringen und am Rhein unter-
stützte sie in Zeitungen, Zeitschriften und größern Werken:
noch heute sind die Namen von Rotteck, Oken, C. Welcker,
Görres unvergessen. Man hat damals und später die unwissen-
schaftliche Flachheit und den halb revolutionären Charakter
dieser Publicistik gerügt, und in der That ist es nicht zu be-
streiten, daß die damalige liberale Schule sich oft nicht weniger
ungeschult und unpraktisch gezeigt hat, als die Teutonen der
Burschenschaft. Eine Mischung halbwahrer oder irriger Vor-
stellungen von altdeutscher Freiheit, englischem Parlaments-
recht, radicalen französischen Theorien ist in diesen Schriften
nicht zu verkennen; auch sie verfielen dem Hauptfehler des
damaligen europäischen Liberalismus, daß sie in ihrem Eifer
um das individuelle Recht die Nothwendigkeit einer starken
Staatsmacht, gerade zum Schutze jenes Rechts gegen das Ver-
sinken in freiheitsmörderische Anarchie, verkannten, und deshalb
auch, wo einmal die Probe gemacht wurde, sich ungeschickt zu
gedeihlicher Lenkung der Regierung zeigten. Durch dies Alles