Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

106 Thätigkeit des erneuerten Bundestags. 1851 
ließ seinem Gesandten in London, Bunsen, die Frage vor— 
legen. Wie zu erwarten war, rieth Bunsen auf das Dringendste 
von einem Staatsstreich ab, der mit einem Eidbruch beginnen, 
und durch seine Schöpfungen den innern Frieden von Grund 
aus aufwühlen müßte. Wie mir aus zuverlässiger Quelle 
versichert wird, gaben damit die Advocaten des Staatsstreichs 
den Plan noch nicht auf. Sie sprachen dem „liberalen 
Schwätzer“ in London jede Urtheilsfähigkeit in der Sache ab; 
sie fanden, es sei tugendhafter, einen sündhaften Eid zu 
brechen als ihn zu halten; sie fragten: wenn König Herodes 
sein der Herodias eidlich gegebenes Versprechen, ihr den 
Kopf des Täufers zu schenken, gebrochen hätte, wäre das vor 
Gott eine Sünde gewesen? Gegen sie aber erhob sich ein 
Royalist reinstes Wassers, ein Mann, welcher damals bei 
allen Liberalen als Gegner aller Freiheit verrufen war, der 
Oberpräsident der Provinz Pommern, Freiherr von Senft- 
Pilsach. Er schrieb dem Könige in ehrfürchtigen und ernsten 
Worten, Majestät möge sich durch kein frommes Sophisma 
von dem geraden Wege der Ehre und Treue verlocken lassen; 
niemals würde unser norddeutsches bedächtiges und kräftiges 
Volk einen Eidbruch seines Königs verwinden und vergessen. 
Der König entschied, das sei die Wahrheit, und von dem 
Freibrief war keine Rede mehr. 
Indessen überzeugte der Minister des Innern, Herr 
von Westphalen, seine Collegen sehr bald, daß der erstrebte 
Bruch mit der Revolution sich auch unter dem Fortbestand 
der Verfassung von 1850 mit einiger Geschicklichkeit und Un- 
bedenklichkeit in ganz auskömmlicher Weise erreichen lasse. Die 
nöthige Geschicklichkeit bestehe in einer unbedenklichen Inter- 
pretation der einzelnen Verfassungsartikel und Gesetzespara-
	        
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