1851 Bismarck's politischer Standpunkt. 6 147
der colossalen, jedes andere Gefühl erdrückenden Selbstsucht
des corsischen Imperators zeigt sich bei dem preußischen
Beamten die patriotische Hingabe an den Staat, die un-
bedingte Pflichttreue gegen König und Vaterland. Seine
Seele war erfüllt von dem Berufe, Preußen zu Macht und
Blüthe zu erheben; jeder Schritt seines Wirkens war ab-
hängig von dieser einzigen und beherrschenden Aufgabe. War
er früher Parteimann gewesen, so wurde er jetzt, im präg-
nantesten Sinne des Wortes, Diener des Staats. Gegen
dessen Anforderung trat jede andere Rücksicht in den Hinter-
grund. Fragen höchster Bedeutung, Freihandel oder Schutz-
zoll, feudale oder demokratische Einrichtungen, Religionsfreiheit
oder Hierarchie, Fragen also, die für viele tausend Menschen
als bestimmende Principien des ganzen Daseins gelten, waren
für ihn nichts als je nach den Umständen gebrauchte Mittel
für Preußens ferneres Emporwachsen, so daß ihn nicht selten
seine Gegner den grundsatzlosesten Opportunisten aller Zeiten
schalten. Wenn ferner Friedrich der Große, der ein langes
Leben dem harten Dienste des Staatsinteresses widmete, im
innersten Herzen der Überzeugung war, daß der Staat nur
ein Mittel zur Erhaltung und Pflege der idealen Güter, der
Schönheit und Wahrheit, der Kunst und der Wissenschaft,
sei: so war umgekehrt Bismarck auch hier Utilitarier, und so
sehr er jene Güter zu schätzen verstand, so war doch stets
seine erste und letzte Frage, in wie weit diese Kunst oder
jene Wissenschaft dem preußischen Staatszweck nutze. Ob-
gleich nicht ganz in diesen Zusammenhang gehörig, mag hier
auch die Thatsache erwähnt werden, daß er, der weiter als
irgend ein Mensch von religiösem Indifferentismus entfernt
war, wiederholt seine ehemaligen Parteigenossen vor der
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