Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1855 Der Minister Drouyn de Lhuys. 227 
in der alten Schule französischer Diplomatie gebildet. Als 
Politiker durchaus conservativ, war er frei von jedem Ehr— 
geiz altnapoleonisches Styles, trachtete weder nach Kriegs- 
ruhm, noch Umwälzungen, fand vielmehr für eine hohe Stellung 
seines Landes in dem curopäischen Staatensystem nichts ge- 
eigneter als die 1815 sanctionirte Ordnung: Einheit und 
deshalb Macht des französischen Volkes, Zersplitterung und 
demnach Ohnmacht seiner Nachbarn, also Italiens und Deutsch- 
lands. Geschärft wurde sein Abschen gegen die italienische 
Einheit durch die damit verbundene Bedrohung der päpstlichen 
Herrschaft, denn die katholische Kirche verehrte er nicht nur 
als den Eingang zur himmlischen Seligkeit, sondern auch als 
conservatives Element im innern Staatsleben, als alte Bundes- 
genossin der französischen Monarchie und als Verleiherin eines 
großen französischen Einflusses im Orient. In Deutschland 
widmete er eine entschicdene Abneigung dem protestantischen 
und unitarischen Preußen, denn beide Eigenschaften schienen 
ihm unaustilgbar in der Natur und der Geschichte dieses 
Staates begründet, wie gnädig auch Friedrich Wilhelm IV. 
der katholischen Kirche volle Unabhängigkeit gestattete und die 
höchste Achtung vor der Souveränität der deutschen Fürsten 
zur Schau trug. Nach all diesen Momenten hielt Drouyn 
de Lhuys den österreichischen Kaiserstaat, den Beschützer des 
Papstes und den Hort des deutschen Bundestags, für den besten 
Allü#rten, welchen Frankreich in Europa finden könne, wohl auch 
mit dem stillen Hintergedanken, daß ein solches Verhältniß 
der unruhigen Politik seines Herrn nicht bloß eine Stütze, 
sondern zugleich ein Zügel sein würde. Somit wünschte er 
lebhaft, aus dem für den Krimkrieg mit Osterreich geschlossenen 
Bündniß eine bleibende Allianz herauswachsen zu sehen. Er 
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