Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

234 Ergebnisse. 1855 
Paris, um durch persönliche Einwirkung seinen Gebieter viel- 
leicht noch umzustimmen. Beis seiner Abschiedsaudienz sprach 
ihm Kaiser Franz Joseph die Hoffnung aus, daß schließlich 
auch in Napoleon's Augen ein ewiges Bündniß mit Öster- 
reich zu gemeinsamer Beschützung der Türkei von größerer 
Bedeutung sein würde, als eine höhere oder geringere Zahl 
russischer Schiffe. Allein dieser Vorstellung war eine lange 
Dauer nicht bestimmt. Wenige Wochen nachher erfuhr man, 
daß Drouyn de Lhuys aus dem Ministerium ausgeschieden 
war, und am 2. Juli eröffnete Napoleon die Sitzung des 
gesetzgebenden Körpers mit einer Rede, welche rückhaltlos 
das Verhalten Osterreichs anklagte: wir haben noch zu erwarten, 
hieß es, daß Osterreich seinen Verpflichtungen nachkomme, 
welche darin bestanden, unsern Bündnißvertrag offensiv und 
defensiv zu machen, falls die Verhandlungen erfolglos blieben. 
An der gereizten Stimmung Napoleons konnte seitdem in 
Wien kein Zweifel sein. 
Auch in Deutschland rief der Abbruch der so lange er- 
sehnten Friedensconferenz und das dann erfolgende Zurück- 
sinken Osterreichs in vollständige Unthätigkeit eine starke Er- 
regung der populären Gefühle hervor. Mit tiefer Beschämung 
sah man den räthselhaften Abenteurer, dem sich Frankreich 
zu Füßen geworfen hatte, über die Geschicke zweier Welttheile 
entscheiden; und wo war Deutschland? Nun freilich, wie 
hätte das mächtige Volk zur Geltung kommen sollen bei dem 
Elend seiner Zersplitterung, bei dem Mangel jedes einheit- 
lichen, kräftigen und nationalen Organs, bei der erdrückenden 
Masse von Trägheit, Feigheit und Eifersucht? Zum ersten 
Male seit 1850 ging wieder der Ruf nach Reform der 
Bundesversassung durch die Zeitungen und bald auch durch
	        
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