288 Antritt der Regentschaft. 1857
fürstlichen Brüdern Preis zu geben. Die Mängel der deutschen
Bundesverfassung lagen klar vor seinem Blicke, und vom
ersten Tage an bereitete er seine Reformvorschläge vor. Aller-
dings er selbst mit geringer Hoffnung auf Erfolg. Er hatte
in den Sturmjahren gelernt, daß Osterreichs Widerspruch und
das Sonderthum der Mittelstaaten nicht durch Parlaments-
beschlüsse und populäre Bewegung beseitigt werden konnten.
Einen Krieg gegen Deutsche aber nur im Falle rechtloser An-
griffe auf Preußen, und nicht offensiv zur Neugestaltung des
Bundes zu beginnen, dieser Beschluß stand in seiner Seele
fest — und hienach glaubte er, die Verwirklichung der deutschen
Einheit selbst nicht mehr zu erleben. Im Begriffe, gegen die
badischen Rebellen 1849 in das Feld zu gehen, schrieb er am
20. Mai an den General von Natzmer: „wer Deutschland
regieren will, muß es sich erobern; dà la Gagern geht es nun
einmal nicht. Ob die Zeit zu dieser Einheit schon gekommen
ist, weiß Gott allein. Daß Preußen bestimmt ist, an die
Spitze von Deutschland zu kommen, liegt in unserer ganzen
Geschichte — aber das Wann und das Wie? Darauf kommt
es an.“ Und ebenso am 4. April 1851: „ja wohl! es war
im November 1850 ein zweites 1813 und vielleicht noch
erhebender, weil nicht ein siebenjähriger fremdherrlicher Druck
diese Erhebung hervorgerufen hatte; es war ein allgemeines
Gefühl, daß der Moment gekommen sei, wo Preußen die
ihm durch die Geschichte angewiesene Stellung erobern sollte!
— Es sollte noch nicht sein. Aber so bald sehe ich jetzt
dazu keine Aussicht; es muß wohl verfrüht gewesen sein,
und ich glaube, wir sehen die gehoffte Stellung für Preußen
nicht mehr.“ 1)
1) G. von Natzmer, Unter den Hohenzollern, Bd. IV., S. 141.