292 Antritt der Regentschaft. 1857
der Anlaß sich bot, war er bereit, königliche Pracht in vollem
Maaß zu entfalten; im eigenen Dasein aber war er äußerst
mäßig und einfach, ein abgehärteter Soldat und ein sparsamer
Haushalter. Sein persönlicher Verkehr war überall bei
königlicher Haltung von innerer Freundlichkeit durchdrungen;
er wünschte, die stille Heiterkeit der eigenen Seele seiner
ganzen Umgebung mitzutheilen. Für die Widersacher seiner
Politik hatte er stets das hohe Wort: nichts vergessen und
Alles vergeben; den Männern, die er einmal seiner Freund-
schaft gewürdigt, blieb er ein unerschütterlich treuer Freund,
und niemals ist in seinem Herzen die Quelle der reinsten
Freude, die dem irdischen Menschen geboten ist, versiegt, der
Freude, Andern Freude zu machen.
Als er zwanzig Jahre später auf der Höhe der Macht
und der Erfolge stand, und ein ruchloser Verbrecher einen
Mordversuch gegen ihn gewagt hatte, konnte der erste und
vertrauteste seiner Diener von ihm sagen 1): „Da haben wir
einen Greis, einen der besten Menschen dieser Erde, und
trotzdem strebt man ihm nach dem Leben. Niemals gab es
einen Menschen von einem bescheidenern, großmüthigern und
humanern Charakter als den Kaiser. Er unterscheidet sich
ganz und gar von den in so hoher Stellung geborenen
Menschen, oder doch von den meisten derselben. Sie legen
wenig Gewicht auf die Empfindungen und Wünsche Anderer;
sie meinen, Menschen ihrer Abstammung sei Vieles erlaubt;
ihre ganze Erziehung scheint dahin zu zielen, in ihnen die
menschliche Seite zu ersticken. Der Kaiser hält sich nicht für
einen solchen Olympier; im Gegentheil, er ist in jeder Be-
1) Fürst Bismarck zu General Grant. Nach Grant's Aufzeichnung
mitgetheilt von Simon, LEmpereur Guillaume et son regne.