Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

22 Graf Brandenburg in Warschau. 1850 
zwischen beiden Höfen äußerst gering: der König stieß die 
Verfassung vom 26. Mai ebenso entschieden wie der Wiener 
Hof zurück und erklärte sie für unausführbar, Fürst Schwarzen= 
berg aber begehrte ihre förmliche Aufhebung, was ihn für 
die Zukunft ebenso wenig wie die preußische Formel sicher 
gestellt hätte. In der kurhessischen Sache sodann forderte 
der König ebenso wie der Kaiser die Unterwerfung des Landes 
unter den Willen des Kurfürsten; man stritt nur über die 
Frage, wer den Sturz der Verfassung gemeinsam mit Öster- 
reich ausführen sollte, ob der Bundestag oder Preußen. 
Wegen solcher Streitpunkte Preußen in einen gewaltigen 
Krieg zu verwickeln, erschien dem Grafen Brandenburg absurd. 
Leider aber hatte die preußische Regierung fort und fort ihre 
Begehren für eine Ehrensache und die Abweisung derselben 
für eine Demüthigung Preußens erklärt: konnte und durfte 
sie jetzt, wo der Gegner mit der Waffe zu drohen begann, 
muthlos zurückweichen? So stand man vor der traurigen 
Wahl zwischen einem zwecklosen Krieg und einem unrühm- 
lichen Frieden. Es war kein Wunder, daß die Ansichten 
scharf auseinander gingen. 
Am Vormittage des 1. November erstattete Branden- 
burg dem Staatsministerium Bericht über Warschau, und 
schloß mit dem Antrage, auf Grund des dort Erreichten die 
Unterhandlung mit Wien fortzusetzen. Radowitz ergriff auf 
der Stelle das Wort zum energischen Widerspruch. Er er 
innerte an Schwarzenberg's feindseliges Verhalten in Betreff 
der Union und der sechs Punkte, und erklärte dann, auf Kur- 
hessen übergehend, sobald Preußen dort die Execution zulasse, 
sei die Herrschaft des Bundestags über ganz Deutschlaud ent- 
schieden, also müsse dem Einrücken der Bayern auf der Stelle
	        
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