1862 Fortgang des kurhessischen Verfassungsstreits. 433
gerode stehe: Osterreich könne in einer kurhessischen, nimmer-
mehr aber in der deutschen Frage eine solche Einräumung
machen. In diese Erwägungen fuhr der durch das zaudernde
Verfahren ermuthigte Kurfürst am 26. April mit einer
brutalen Verfügung hinein, in welcher für jeden Bürger die
Theilnahme an künftigen Landtagswahlen von einer voraus-
gehenden ausdrücklichen Anerkennung der Verfassung von 1860
abhängig gemacht wurde: ohne eine solche würde kein Wähler
zur Abstimmung zugelassen werden, und dann also das kleine
Häuflein der kurfürstlichen Getreuen durch Minoritätswahlen
eine wohlgesinnte Volksvertretung bilden. Die Entrüstung im
Lande flammte hoch auf; alle Casseler Wahlmänner sandten
eine Beschwerde an den Bundestag, dessen Ausschuß jetzt seit
zwei Monaten erfolglos über dem Antrag der beiden Großmächte
brütete. Der Kurfürst lachte, und auf seine stillen Gönner in
Frankfurt bauend, schrieb er am 3. Mai die Landtagswahlen
nach Maaßgabe der letzten Verordnung aus. Jetzt aber war
in Berlin die Langmuth erschöpft. Am 6. Mai meldete Graf
Bernstorff nach Wien, daß der Kurfürst die Sache auf die
Spitze getrieben habe; Preußen könne seine Action nicht mehr
von den Zögerungen in Frankfurt abhängig machen, und
glaube, daß Osterreich in derselben Lage sei; man wiederhole
also, mit der Bitte um strenges Geheimniß, den Vorschlag
auf gemeinsame Sendung zweier Generale nach Cassel, zunächst
mit der Forderung des Aufschubs der Wahlen, und der Er-
klärung des diplomatischen Bruchs im Falle der Ablehnung.
In Wien war damals in Folge der gleich zu erwähnenden
Zollvereinssache die Stimmung für Preußen immer gründ-
licher abgekühlt, man wünschte die erste Rolle in dem popu-
lären Rettungswerk zu behaupten, und es deshalb in der
v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches II. 28