458 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862
formation aufrecht zu erhalten; nach dem Beschlusse des Herren-
hauses sehe sie sich in der Nothwendigkeit, den Staatshaus-
halt ohne die in der Verfassung vorausgesetzte Unterlage führen
zu müssen; sie sei sich dabei ihrer Verantwortlichkeit bewußt,
aber auch ihrer Pflichten gegen das Land eingedenk, bis zur
gesetzlichen Feststellung des Etats die für die Landeswohlfahrt
unerläßlichen Ausgaben zu bestreiten, in der Zuversicht, daß
dieselben demnächst die nachträgliche Zustimmung des Landtags
erhalten werden.
Ob Bismarck damals vermuthete, daß er mit diesen
Worten die Eröffnung eines vierjährigen schweren Streits
zwischen den höchsten Staatsgewalten Preußens ankündigte?
Gewiß ist sein Entschluß, den Kampf auf jede Gefahr zu
Ende zu führen; zugleich war es ihm gelungen, auch den
König von der Verfassungsmäßigkeit seines Verfahrens zu
überzeugen. Das System, das er während der Streitjahre
in mannigfacher Anwendung zu vertreten hatte, läßt sich in
folgende Sätze zusammenfassen.
— In England hat allerdings in Folge einer langen
Historischen Entwicklung allein das Unterhaus die Entscheidung,
ob irgend eine Einnahme oder Ausgabe gemacht werden darf.
Daraus hat sich eine weit verbreitete Doctrin gebildet, daß
dieses Budgetrecht des Unterhauses ein nothwendiger Bestand-
theil alles constitutionellen Staatsrechts sei.
Wir leben jedoch nicht in England, sondern in Preußen,
und haben die Staatspraxis nicht nach allgemeinen Theorien,
sondern nach den positiven preußischen Gesetzen zu führen.
Nach der preußischen Verfassungsurkunde aber werden
sämmtliche Einnahmen und Ausgaben auf den Etat gebracht,
und dieser jährlich durch ein Etatsgesetz festgestellt. Wie jedes