464 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862
föderative oder mehr unitarische Gestaltung des neuen Bundes,
die engere oder weitere Competenz der von Preußen zu leitenden
Reichsgewalt und der nationalen Volksvertretung. Ohne eine
doctrinäre Vorliebe für irgend eines dieser Systeme, wog er
ihre Aussichten und Vortheile, sowie ihre Kosten und Ge-
fahren, und vor Allem ihre Erreichbarkeit trotz der Eifersucht
der fremden Großmächte ab, stets bereit, je nach der Lage
der Dinge das Verfahren oder auch das Ziel zu wechseln:
nur unter dem unverbrüchlichen Gesetz, daß Preußen immer
vorwärts schreite, niemals zurückweiche, niemals den ge-
wonnenen Boden und niemals den eigenen Muth verliere.
Ohne Frage, der Ausgangspunkt all seines Thuns war nicht
ein nur in der Phantasie vorhandenes Deutschland, sondern
das in greifbarer Wirklichkeit heranwachsende Preußen, aber
es ist nicht minder gewiß, daß dieser Mann, der nur mit
Realitäten rechnete, eben deshalb den Weg fand, um Deutsch-
lands Ideale zu verwirklichen. Schon am 30. September
hatte Bismarck in einer Sitzung der Budget-Commission
es ausgesprochen, daß die deutsche Frage schwerlich durch
Parlamentsbeschlüsse, sondern nur durch Blut und Eisen
gelöst werden könne, und damit ein gewaltiges Schaumspritzen
der öffentlichen Meinung und sittliche Entrüstung der fried-
liebenden Bürger bewirkt. Wie gesagt, er war sehr bereit,
so viel an ihm läge, ihnen diese Calamität zu ersparen; und
als am 4. December im Bundestage der Ausschußbericht
über den Wiener Antrag zum Abschlusse kam, Preußen aber
zu demselben ein scharfes Separatvotum vorbereitete, lud
Bismarck den österreichischen Gesandten, Grafen Karolyi, zu
einer Erwägung der beiderseitigen Beziehungen und deren
Folgen ein. Es war die erste jener Mittheilungen, in welchen