492 Polnische Wirren. 1862
Gebieten des socialen Daseins. Aber nur zu richtig hatte
der Kaiser die polnischen Parteien beurtheilt. Die Edelleute
der weißen Fraction lehnten jedes Amt unter Wielopolski ab,
weil seine Vollmacht nicht auf das ganze Polen von 1771
laute. Die Rothen aber, welchen nichts abscheulicher und
drohender erschien, als eine Versöhnung zwischen dem Zaren
und Polen, welche, wie wir sahen, den ersten Eintritt des
Marquis in die Geschäfte mit dem Blutopfer vom 8. April
beantwortet hatten, sie beschlossen, daß ihm jetzt, wo er als
Seele und Lenker der Regierung zurückkam, noch ganz anderes
Blut entgegen dampfen sollte. Am 27. Juni wurde auf
General Lüders im sächsischen Garten aus nächster Nähe ein
Pistolenschuß abgefeuert, der ihm die Kinnlade zerschmetterte,
ohne daß der Thäter ermittelt werden konnte. Gleich nach-
her flog die Kunde durch das Land, daß eine Unterhandlung
zwischen Rußland und dem Vatican, welche den Papst zu
friedlichen Ermahnungen an die polnische Geistlichkeit hatte
bewegen sollen, zum offenen Bruche gediehen war: der Papst
forderte die polnischen Bischöfe auf, die wegen ungesetzliches
Benehmens verhafteten Geistlichen in ihren Schutz zu nehmen;
darauf sagte Gortschakoff, wenn der Papst in Polen die
Revolution fördere, so könne er nicht erwarten, daß Rußland
ihm gegen die italienische Revolution beistehe, und erkannte
Victor Emanuel als König von Italien an. Durch diese
Vorgänge wurde der Fanatismus der Polen auf den höchsten
Grad gesteigert und entlud sich in einer beispiellosen Reihe
wilder Frevelthaten. Auf den Großfürsten wurde zwei Tage
nach seiner Ankunft ein Pistolenschuß abgefeuert; die Kugel
traf, blieb aber in dem dicken Epaulette der Generalsuniform
stecken. Im Laufe des August wurden gegen Wielopolski