1863 Verhandlungen über den Verfassungsentwurf. 555
Majorität, mochte es nun auf überzeugende Rede oder auf
strategisches Geschick zur Ausgleichung der streitenden Mei-
nungen ankommen. Ihm gegenüber war es vor Allem der
Großherzog von Baden, welcher unerschrocken dem ganzen
Systeme zu Leibe ging, und sich nicht scheute, die in diesem
Kreise verhaßte Ketzerei auszusprechen, daß jede fruchtbare
Bundesthätigkeit unmöglich sei, so lange zwei Großmächte
dem Bunde angehörten. Für seine Verbesserungsvorschläge
konnte er aber auf nicht mehr als vier bis sechs Stimmen:
Weimar, Oldenburg, zuweilen Coburg, Waldeck, Reuß, zählen.
Der Inhalt der Reformacte bewegte sich ganz in dem
uns aus den letzten Bundestagsverhandlungen bekannten
Gesichtskreise: Erweiterung des Bundeszwecks, Befugniß des
Bundes, gemeinnützige Einrichtungen aller Art seiner Gesetz-
gebung und Verwaltung zu unterstellen, also starke Be-
schränkung der Nothwendigkeit einstimmiger Beschlüsse, dafür
Betheiligung von Landtagsdelegirten an der Gesetzgebung,
und Schöpfung einer Executivbehörde in Gestalt eines Direc-
toriums, wo ebenso wie im Bundestage Osterreich das Prä-
sidium, und in Verbindung mit den Mittelstaaten die Aussicht
auf eine dauernde Mehrheit gehabt hätte. Dazu ein Bundes-
gericht, welches unter Anderm auch die Befugniß haben sollte,
bei Streitigkeiten zwischen Regierung und Volksvertretung
eines Einzelstaats über Auslegung und Anwendung der Landes-
verfassung zu entscheiden. Man hatte zur Empfehlung der
Reformacte den König von Preußen darauf hingewiesen, wie
er auf diese Art von allem Budgetstreit seines Abgeordneten-
hauses gründlich befreit werden könnte. Er schmunzelte: es
wäre nicht so uneben, setzte jedoch gleich hinzu: es geht
aber nicht.