144 Erbstreit und Verfassungsfrage.
veräne zu unterziehen. Eine Verhandlung von zwanzig ge-
krönten Häuptern, ohne Bezeichnung oder Begrenzung des
Gegenstandes, ohne Angabe ihrer Ausgangs= und Zielpunkte,
ohne vorausgegangene Feststellung ihrcr Competenz, Geschäfts-
ordnung und Executionsmittel, gab wenig Aussicht auf fried-
liche Lösungen, sondern ließ unverkennbar bei ihrem Urheber
stets neue kriegerische Uberraschungen voraussetzen. Die Rede
ist impertinent, rief Königin Victoria von England. Der
Streich ist doch zu stark, sagte Kaiser Alexander von Rußland.
Niemand freute sich über die Einladung, aber freilich,
niemand hatte Eile, durch eine Ablehnung den Zorn des ge-
fürchteten Imperators auf sich zu ziehen. Die kleinern Höfe,
Papst und Sultan voran, wetteiferten, ihre Bereitwilligkeit
zu erklären. Unter den Großmächten aber wäre jede bereit
gewesen, der andern die mißliche Ehre der Zurückweisung zu
überlassen. Rußland hoffte in dieser Beziehung auf Öster-
reich und England: Lord John Russell aber meinte, daß
Osterreich und Preußen in erster Linie zu der ablehnenden
Erklärung berufen seien, und beschränkte sich zunächst darauf,
in Paris die dauernde Rechtsbeständigkeit der Verträge von
1815 zu betonen, und um nähere Auskunft über die Gegen-
stände zu ersuchen, welche Napoleon auf dem Congresse zur
Sprache zu bringen beabsichtigte.
Über die Tendenz des französischen Vorschlags hatte
kein Mensch in Europa einen Zweifel. Zu laut und bestimmt
hatte Napoleon es ausgesprochen, daß er gegen Preußen und
Rußland, die klar und aufrichtig in der polnischen Sache,
ohne weitere Feindseligkeit gegen Frankreich ihren Weg ge-
halten, keinen Anlaß zur Beschwerde habe. Aber ebenso
wenig hatte er ein Geheimniß aus der Erbitterung gemacht,