160 Erbstreit und Verfassungsfrage.
wenn es die Zurücknahme der Novemberverfassung, im Noth-
fall durch Waffengewalt, zu erlangen begehrte. Hier, und
nur hier, hatte man Aussicht, Osterreichs Beistand zu ge—
winnen, und im Bunde mit ihm Schritt auf Schritt zum
offenen Kriege gegen Dänemark zu gelangen. Dies war für
jetzt das Nothwendige, das völlig Unerläßliche. Stand man
erst im Kriege, so waren alle frühern Verträge mit Däne—
mark selbst hinfällig; es würde dann die Aufgabe sein, auch
dem Wiener Cabinet die völlige Losreißung Schleswig-Hol-
steins von Dänemark plausibel zu machen; jedesfalls bot ein
solches Vorgehen dem Auslande an keiner Stelle einen Rechts-
titel zur Einmischung. Und weiter noch: auf diesem Wege,
und nur auf diesem, vermied Preußen, sich für die erbrecht-
lichen Ansprüche irgend eines Prätendenten im Voraus zu
verpflichten; und wir wissen, wie wenig Bismarck für die
Schöpfung eines neuen souveränen Großherzogs und Bundes-
fürsten unter dem Schirme des bisherigen Bundesrechts be-
geistert war. Vollends aber von einem Augustenburger Rechts-
titel wollte er, der im Jahre 1852 die Abkunft mit Herzog
Christian unterhandelt hatte, und sich also durch das jetzige
Auftreten der Familie persönlich getäuscht, ja beinahe vor
Europa compromittirt sah, nicht das Mindeste wissen. Nach
seiner Auffassung würden nur die Erfolge des Kriegs über
die territorialen Ergebnisse entscheiden, in keinem Falle aber
ein neues Großherzogthum, ohne vorherige Reform der
Bundesverfassung, zuzulassen sein.
Mit einem Worte also, trotz alles Stürmens der öffent-
lichen Meinung in Deutschland, beschloß Preußen, nicht die
Thronfolge, sondern allein die Verfassungsfrage zum Aus-
gangspunkt des Verfahrens gegen Dänemark zu nehmen.