340 IV.Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren Austragung.
1. Die besetzende Staatsgewalt hat das Rocht wie die Pflicht,
an Stelle der rechtmäßigen Staatsgewalt Ruhe und Ordnung aufrecht
zu erhalten.
Gesetzgebung, Rechtspflege, Verwaltung werden, soweit es
möglich ist, wie bisher fortgeführt. Doch hat die besetzende
Staatsgewalt das Recht, alle Maßregeln zu treffen, die erforderlich
sind, um die besetzenden Truppen und die Zwecke der Krieg-
führung zu sichern (Verkündung des Standrechts usw.). Die Be-
wohner des besetzten Gebietes schulden der besetzenden Staats-
gewalt Gehorsam, nicht aber die Treue, die der Untertauenverband
fordert. Es ist daher völkerrechtswidrig, von der Bevölkerung
des besetzten Gebietes den Treueid zu verlangen oder sie zur
Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land,
etwa zu Führerdiensten in unbekanntem Gelände, zu zwingen.
2. Die besetzende Kriegsmacht kann fällige Steuern und Ab-
gaben erheben und für die Bedürfnisse des Heeres Zwangsauflagen in
Geld (Kontributionen) ausschreiben, sowie Naturalleistungen (Requisi-
tionen) fordern.
Die Erhebung der Steuern, Zölle und Abgaben soll nach
Maßgabe der bestehenden landesrechtlichen Bestimmungen erfolgen ;
die Gelder sind für die ordnungsmäßige Verwaltung des besetzten
Gebietes zu verwenden. Strafen, seien es Geldstrafen, seien es
Strafen anderer Art, dürfen, soweit sie nicht als Repressalien er-
scheinen, nicht über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen
Einzelner verhängt werden, für welche die Gesamtheit nicht als
verantwortlich angesehen werden kann. Zwangsauflagen in Geld
dürfen nur auf Grund eines schriftlichen Befehls, unter Verant-
wortlichkeit eines selbständigen kommandierenden Generals und
gegen Empfangsbescheinigung erhoben werden. Dasselbe gilt von
den Naturalleistungen aller Art (Stellung von Pferden und Wagen,
Lieferung von Nahrungsmitteln und Kleidern usw.), die im Ver-
Des effets de l’occupation en temps de guerre sur la propriöte et la jouissance
des biens publics et particuliers. 1900. Petit, L’administration de la justice
en territoire occupe. 1900.