128 Preußisches Ultimatum. 1865
Herrscher die Geschicke von 45 Millionen Menschen. Und
in dem Jahrhundert, welches dieses beispiellose Wachsthum
sah, hatte Preußen beinahe 90 Friedensjahre und ertrug
nur sechs Jahre lang die Anwesenheit feindlicher Truppen
auf seinem Boden, ein Verhältniß, welches auch nicht vor-
gekommen war, so lange es eine deutsche Geschichte gab.
Nicht am wenigsten machten sich Gedanken der an-
gegebenen Art dem König Wilhelm bei dem Verhältniß zu
OÖsterreich geltend. Die bittern Erinnerungen an Olmütz
und die darauf folgenden Jahre waren mit dem Beginne
des dänischen Kriegs zurückgetreten; in dem neuen gemecin-
samen Kampfe gedachte man wieder der Waffenbrüderschaft
von 1813 und des langjährigen Bündnisses der Restaura-
tionszeit. Damit vereinte sich die nahe Verwandtschaft und
persönliche Frcundschaft der beiden Souveräne: die Vor-
stellung eines österreichischen Kriegs war für den König
eine tieftraurige. Um Alles wollte er keinc übereilte Ent-
schließung fassen.
Aber andrerseits drängten die Verhältnisse vorwärts
mit anschwellender Wucht. Die Frage, ob der Couflict sich
ohne Schaden und Schande vermeiden ließe, wurde für
Prcußen drückender von Tage zu Tage. Es hatte seine
Ansprüche vor aller Welt erhoben, sie bei jeder Wieder-
holung mit steigendem Nachdruck geltend gemacht, und sah
sie in ihren wesentlichsten Punkten von Osterreich hartnäckig
abgewiesen. Und nur zu bald hatte der Gegensatz weitere
Dimensionen angenommen. Kein Mensch und kein Staat
kann seine Vergangenheit auslöschen, und wie seit 100 Jahren
die Dinge gewachsen waren, fand OÖsterreich das Gedeihen
seiner Macht in der Zersplitterung Italiens und Deutsch-