Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vierter Band. (4)

160 Esterreichische Ministerkrisis. 1865 
eines Berichtes entschloß, und deshalb endlich zurückgerufen 
werden mußte. So hatte er auch in völliger Unthätigkeit 
als Minister ohne Portefeuille, Schmerling's Politik sich vier 
Jahre lang entwickeln lassen, im Herzen ein Gegner Schmer— 
ling's in jedem Punkte, Alles erforschend, niemals mitwirkend, 
niemals widersprechend: bis er endlich im Sommer 1865 den 
Augenblick gekommen fand, um den Adel vor dem Aufstreben 
des Bürgerthums, Ungarn vor dem Drucke der deutschen 
Centralisten, die Kirche vor Schmerling's interconfessionellen 
Gesetzentwürfen zu bewahren. Da jetzt der große Führer 
der ungarischen Opposition, Franz Deäk, auch mit der alt- 
conservativen Partei zur Bekämpfung Schmerling's in ein 
halbes Einvernehmen trat, ließ sich der Kaiser bestimmen, 
Anfang Juni mit seiner Gemahlin einen Besuch in Pest zu 
machen, wo er von der Bevölkerung mit unermeßlichem Jubel 
aufgenommen wurde, und in einer feierlichen Ansprache den 
entschiedenen Willen bekundete, die Völker seiner ungarischen 
Krone möglichst zu befriedigen. Je kräftiger bisher Schmer- 
ling nicht die Befriedigung, sondern die Unterwerfung Ungarns 
betrieben hatte, desto deutlicher war in jenem Kaiserworte die 
Hindeutung auf den bevorstehenden Umschlag. Die Haltung 
der liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses brachte darauf 
die Krisis zur Reife. Die Verfassung von 1861 hatte einen 
sogenannten Octroyirungs-Paragraphen, eine Bestimmung, 
welche der Regierung das Recht verlieh, in dringenden Fällen 
ohne Zuziehung des Reichsraths Verfügungen mit Gesetzes- 
kraft zu erlassen. Bei der wachsenden Verbitterung der Ver- 
hältnisse war die liberale Partei von der Besorgniß erfüllt, 
die Regierung möchte diesen Artikel zu einer Verfassungs- 
änderung benutzen, und gleich nach der Rückkehr des Kaisers
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.