Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vierter Band. (4)

1866 Preußens erste Schritte. 315 
Bei der Bekämpfung der preußischen Politik gegen 
Schleswig-Holstein hatte Alles, was liberal hieß, in Reso- 
lutionen, Vereinsschriften, Zeitungsartikeln, hundert und 
aber hundert Mal erklärt, daß nur die Berufung eines 
deutschen Parlaments das Vaterland erretten könne. Die 
Ansicht war erlaubt, daß in der öffentlichen Meinung sich 
ein Umschwung zu Preußens Gunsten vollziehen müßte, 
wenn dessen schwer verkannte Regierung jetzt diesen Lieblings- 
wunsch der Nation sich aneignete und zur Erfüllung brächte. 
Was aber die deutschen Regierungen und deren gemeinsames 
Organ, den Bundestag, betraf, so war allerdings bei deren 
großer Mehrzahl nur auf tiefe Abneigung gegen einen solchen 
Plan zu rechnen. Indessen gab es einen Staat, und gerade 
den bedeutendsten nach den beiden Großmächten, welcher in 
früherer Zeit mehrmals und in offenem Gegensatze gegen 
Osterreich, die Nothwendigkeit der Reform und einer Volks- 
vertretung beim Bunde betont hatte, welchem Preußen in 
seinem jetzigen Plane eine ganz hervorragende Stellung an- 
zutragen gedachte, und dessen leitender Minister seit einiger 
Zeit sich in einer persönlich freundschaftlichen Haltung gegen 
Bismarck gesiel. Oben wurde erwähnt, wie entgegenkommend 
im Februar Baron von der Pfordten eine erste Andeutung 
des Prinzen Reuß über Preußens Reformgedanken aufnahm. 
Auch sonst pflegte er rückhaltlos seine Achtung vor dem 
großen preußischen Staatsmanne auszusprechen. „Wie irren 
sich diejenigen, sagte er, welche bei ihm persönliche Ehrsucht 
vermuthen. Er ist der verkörperte preußische Staatsgedanke; 
er ist kein principieller Gegner Osterreichs, im Gegentheil, er 
möchte mit diesem gehen, aber stets unter der Bedingung, 
daß es einer berechtigten preußischen Politik nicht immer
	        
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