74 Preußen und Frankreich. 1865
daß Frankreich, wenn zur Verfallzeit die allgemeinen Verhält-
nisse und seine besonderen Interessen es erheischen sollten, in
dem Augenblicke, wo wir die Erfüllung fordern, durch eine
Interpretation entschlüpfte und uns um die Früchte des ge-
heimen Vertrages brächte. Nicht so problematisch, wie der
künftige Gewinn, erscheint mir, wenn ich mich in die Situa-
tion des andern Contrahenten hinein denke, die unmittelbare
Gefahr. Nach ihren, in der Natur der Dinge begründeten
Interessen, kann der französischen Regierung nichts mehr am
Herzen liegen, als das Bündniß zwischen Preußen und Oster=
reich zu sprengen; dieser Erfolg allein wäre ihr ein hinläng-
licher Preis, um uns in den Elbherzogthümern wesentliche
Concessionen zu machen. Wir können sie nicht der Versuchung
aussetzen, die in der Existenz eines solchen Vertrages läge,
können nicht ein Document in ihre Hand geben, das nur gezeigt,
nur erwähnt zu werden brauchte, um ihr den ersehnten Er-
folg in vollem Maaße zu verschaffen. Der Mangel an Auf-
richtigkeit gegen ÖOsterreich, dessen uns jeden Augenblick zu
überführen, Frankreich ein so sicheres Mittel besäße, würde
uns nicht nur auf lange Zeit jedes Vertrauen Osterreichs
kosten, sondern auch in Deutschland die volle Verurtheilung
durch das Volk und die Regierungen nach sich ziehen; er
würde tiefes Mißtrauen erzeugen bei England, das sich durch
uns auf der Seite indirect bedroht glauben würde, wo es
für den Fall eines großen Conflicts auf unsere Unterstützung
zu rechnen liebt; er würde erkältend auf unsere Beziehungen
zu Rußland wirken. Den andern Mächten gegenüber isolirt,
wären wir auf Frankreich allein angewiesen: ohne seinen Zu-
muthungen ein hinreichendes Gegengewicht, sei es in Aner-
bietungen sei es in Drohungen, leisten zu können, dürften