Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vierter Band. (4)

88 Die Zustände in Schleswig-Holstein. 1865 
Militärlast von dem besitzenden Bürgerthum kaum empfunden. 
Denn die dänische Gesetzgebung ließ die Stellvertretung zu, 
und da das jährliche Recrutencontingent gering war, standen 
auch die Preise der Stellvertreter sehr niedrig. Alle Welt 
war hier also entsetzt über den Gedanken an preußisches 
Steuersystem und vollends an allgemeine Dienstpflicht. Die 
Kaufleute, die in der altgewohnten Weise ihres Geschäfts- 
betriebes einen mäßigen, aber sichern Gewinn bezogen, fürch- 
teten von dem Eintritt in den Zollverein ganz neue Con- 
juncturen, neuc Concurrenz und neue, lästige Arbeit; die 
zünftigen Handwerker empfanden ähnliches Grauen vor der 
Einführung der preußischen Gewerbefreiheit. Der Universität 
war es nicht gleichgültig, wenn mit der preußischen Annexion 
der Zwang eines zweijährigen Studiums in Kiel für alle 
künftigen Beamten wegficl. Die jungen Juristen machten 
bisher gleich nach dem Abgang von der Universität ihr 
Examen, und konnten dann treiben, was sie wollten, bis sie 
die Berufung in ein Amt erhielten; ihnen drohte die Annexion 
mit dem langen Vorbereitungsdienst und dem schlimmen 
dritten Examen der preußischen Referendare. Die sehr zahl- 
reichen und einflußreichen Beamten bezogen entweder hohes 
Gehalt oder hohe Sporteln, und standen unter geringer Con- 
trole; es gab z. B. keine Oberrechnungskammer; unter preußi- 
scher Herrschaft dagegen würde eine kleinere Zahl von Personen 
in eine so angesehene Stellung gelangen, und die wenigen 
Glücklichen schlechter bezahlt und schärfer beaussichtigt werden 
als bisher. Alle diese Elemente freuten sich, für die Ver- 
theidigung ihrer Sonderinteressen ein geachtetes Banner in 
dem Namen Augustenburg und einen populären Schlachtruf 
in dem Hoch auf das unabhängige Schleswig-Holstein zu
	        
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